Die Seidenweberin: Roman (German Edition)
Fygen.
»Das wird nichts nutzen, da hilft nur abschneiden, so dreckig sind deine Haare«, erklärte Fygen mit gespieltem Ernst.
»Ja, du hast Glück. Bei dunklen Haaren sieht man den Dreck nicht, aber schau: Dir läuft die Schmutzbrühe aus den Zöpfen heraus«, entgegnete Katryn kichernd, und Fygen legte sich einen ihrer nassen Zöpfe als Schnurrbart unter die Nase. »Kann ich mir gar nicht vorstellen, so blütenweiß wie die Kopfkissen bei Mettel sind …«
»Was für Kopfkissen? Meinst du die alten Leinensäcke mit muffigem, platt gedrücktem Stroh?«
»Wie kannst du es wagen, meine kostbaren Kopfkissen so einzudrecken? Dafür schuldest du mir drei Pfennig. Geh mir aus den Augen«, äffte Fygen ihre Lehrherrin trefflich nach.
Die Mädchen bogen sich vor Lachen, und mit dem Staub und Schmutz der ganzen Woche wuschen sie auch all ihren Zorn und ihre Mühsal vom Körper.
»Das ist mir aber eine ausgelassene Stimmung hier.« Lächelnd betrat Frau Starkenberg die Badestube, frische Leibwäsche und ein blaues Kleid über dem Arm. »Fygen, du hast sicher keine frische Wäsche dabei. Ich habe noch ein paar Sachen von Adelheid gefunden, aus denen sie herausgewachsen ist.« Deutlich fiel ein Schatten über ihr anziehendes Gesicht, als sie den Namen von Katryns jüngerer Schwester aussprach. »Vielleicht passen dir die Kleider. Probiere sie doch einfach einmal an. Und dann kommt zum Essen, der Tisch ist schon gedeckt.« Ohne auf Fygens Proteste einzugehen, legte sie die Kleidungsstücke auf einen Schemel neben Katryns Wäsche und verließ die Badestube.
»Katryn, kneif mich! Ich bin sicher tot. Erst das himmlische Bad, dann neue Kleider, und Essen gibt es auch noch?« Fygen drehte und wendete sich in ihrem neuen Kleid. Es war kornblumenblau, hatte weiße Paspeln an Mieder, Ärmeln und am Rocksaum und passte ihr hervorragend. »Ich muss tot sein. Und das ist der Himmel, da bin ich sicher.«
Katryn lachte und schob sie vor sich her aus der Badestube hinaus, den Gang entlang in Richtung Vorderhaus und dann die steinerne Wendeltreppe hinauf. In der ersten Etage betraten sie die große Stube, in der ein langer Tisch üppig gedeckt war. Die Stube lag nach hinten hinaus, und durch die farbig bemalten Fensterscheiben sahen die Mädchen über Hof und Garten hinweg auf den Filzengraben. Direkt neben dem Fenster saß ein großes, rundliches Mädchen unbestimmbaren Alters mit ungewöhnlich pausbäckigem Gesicht und leicht schräg gestellten Augen. Es hatte eine große Serviette um den Hals geknüpft und hielt einen Löffel in der molligen Rechten. Neugierig blickte es Fygen an und winkte ihr fröhlich mit dem Löffel zu. »Wer bist du?«, fragte es ein wenig undeutlich, und Fygen erkannte, dass dieses Mädchen nicht ganz gesund war. »Du musst Adelheid sein«, sagte sie freundlich zu dem Mädchen. »Ich bin Fygen, darf ich mich zu dir setzen?«
Adelheid nickte eifrig mit dem Kopf und schwenkte weiter ihren Löffel. »Du bist nett«, sagte sie zu Fygen und schlang ihr beide Arme um den Hals.
»Schau nur, ich habe dein Kleid an, ist dir das recht?«, fragte Fygen.
Wieder nickte das Mädchen. »Iss jetzt weiter, Liebes«, sagte Frau Starkenberg, die ihrer jüngsten Tochter gegenübersaß, und wischte ihr mit einem Zipfel der Serviette liebevoll über den Mundwinkel.
Katryn hatte derweil neben ihrer Mutter Platz genommen und bediente sich aus den gut gefüllten Schüsseln. »Greif zu, Fygen. Es muss für eine ganze Woche reichen«, riet sie ihrer Freundin eindringlich.
»Lass mich raten: Du magst keine Kohlsuppe«, nahm Fygen ihre Blödelei wieder auf.
»Wie kommst du denn darauf? Ich liebe Kohlsuppe, nur nicht die dürre Plörre von der alten Mettel.«
»Jetzt bist du aber ungerecht, sie kümmert sich doch so rührend um das leibliche Wohl ihrer Lehrtöchter.«
Die Mädchen prusteten vor Lachen, und Fygen fragte: »Warum wird die alte Mettel eigentlich die Alte Mettel genannt?«
»Das weiß ich auch nicht«, antwortete Katryn.
»Die Alte Mettel wurde so genannt, um sie von der jungen Mettel zu unterscheiden«, erklärte ihre Mutter den überraschten Mädchen. »Der gute Johann Elner war in jungen Jahren ein ansehnlicher Bursche, aber er hatte nichts an den Füßen. Das heißt, er war nicht wohlhabend. Zwei Mädchen rissen sich um ihn, und beide hießen Mettel. Die eine war blutjung und hübsch, doch auch sie hatte kein Vermögen zu erwarten. Die andere war eure Lehrherrin Mettel. Und wenn ihr sie heute anschaut, könnt
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