Die Seidenweberin: Roman (German Edition)
ihr sicher sein, dass sie auch früher keine Schönheit war.«
Heinrich Starkenberg, der sich gewichtig am Kopfende der Tafel niedergelassen hatte, beteiligte sich nicht an dem lästerlichen Gespräch, doch konnte er nicht umhin, seiner Frau und den Mädchen ab und an einen amüsierten Blick zuzuwerfen.
Frau Starkenberg kicherte wie ein junges Ding über den Klatsch, den sie den Mädchen erzählte, und fuhr fort: »Doch eure Mettel konnte auf eine ansehnliche Mitgift hoffen, und so machte sie das Rennen. Sie war zwar nur wenig älter als die andere Mettel, doch es reichte, um ihr diesen Beinamen zu verpassen. Ich bin sicher, dass es sie unglaublich geärgert haben muss, schon als junges Mädchen die Alte Mettel genannt zu werden.«
So verging das Mahl unter vergnüglichem Geplauder, und schließlich lehnte Fygen sich mit vollem Bauch zurück. »Wenn ich noch einen Happen esse, dann platze ich. Es hat wundervoll geschmeckt, Frau Starkenberg, vielen Dank für Eure Gastfreundschaft.« Mit diesen Worten erhob Fygen sich und wollte sich von Katryn und ihrer Mutter verabschieden. Doch Katryn hatte die Zeit mit Fygen sehr genossen. »Was hast du nun vor?«, fragte sie ein wenig enttäuscht.
»Ich will herausfinden, ob diese Stadt irgendwo ein Ende hat. Hier sind überall nur Straßen und Häuser … Ich sehne mich nach etwas Grün. Felder, Äcker, Bäume.«
Überrascht schauten Katryn und ihre Mutter sich an.
»Ich weiß, das mag seltsam klingen, aber ich bin auf dem Land aufgewachsen, da konnte man stundenlang über Felder und Wiesen laufen«, versuchte Fygen zu erklären.
»Bei St. Peter und St. Cäcilia sind einige Felder und Weingärten«, überlegte Frau Starkenberg laut. »Das ist nicht sehr weit von hier …«
Nur wenig später, ihre Zöpfe waren noch nicht ganz getrocknet, stieg Fygen mit Katryn die Wendeltreppe hinab. In der Halle hielten sie kurz inne, denn auf einem schmalen Tischchen neben der Tür lagen zwei sorgsam eingewickelte Pakete für sie bereit, gefüllt mit Würsten und anderen Leckereien. Die Mädchen traten auf die Straße hinaus und spazierten gemütlich die Rheingasse weiter hinauf in westliche Richtung, durch das Dreikönigenpförtchen und ließen St. Maria im Capitol rechter Hand liegen.
»Was ist mit Adelheid?«, fragt Fygen die Freundin unvermittelt.
»Wir wissen es nicht genau. Sie ist schon so zur Welt gekommen. Sie kann einen richtig dauern. Weil manche Menschen böse Scherze mit ihr treiben, geht sie nie aus dem Haus, selbst dann nicht, wenn Mutter auf sie aufpasst.«
»Kann ihr denn kein Arzt oder Bader helfen?«
»Sie will keine Ärzte mehr sehen. Sie fängt an, ohrenbetäubend zu schreien, wenn ihr ein Arzt zu nahe kommt, was ich gut verstehen kann. Es war schrecklich, was die Ärzte alles mit ihr angestellt haben, um sie zu heilen: kaltes Wasser, heißes Wasser, Aderlass, übelste Tinkturen zum Einnehmen, Einreiben und was weiß ich noch alles. Selbst in einen dunklen Raum haben sie die Ärmste gesperrt. Es hat alles nichts genutzt.«
Die Mädchen hatten Unter Pfannenschleger überquert und gingen nun die Sternengasse entlang, als unter erbärmlichem Gegacker ein Huhn durch einen Torbogen gelaufen kam, gefolgt von einer jungen Magd, die sich vergeblich abmühte, es zu fassen zu bekommen. Das Huhn rannte den Mädchen genau zwischen die Füße und erinnerte Fygen daran, was sie Katryn schon längst hätte fragen wollen. »Sag mal, kennst du eine Marie vom Hühnermarkt?«
»Uh. Die alte Seidspinnerin? Woher kennst du die?«
»Ich habe sie im Seidkaufhaus kennengelernt.«
»Und, wie ist sie?«
»Ich fand sie nett. Sie weiß unglaublich viel über Seide. Und sie hat mich eingeladen, sie zu besuchen.«
»Das hast du doch nicht ernsthaft vor?« Katryn blieb stehen und schaute Fygen entgeistert an.
»Warum denn nicht?«
»Nun.« Katryn wand sich ein wenig. »Manche sagen, sie sei nicht ganz richtig im Kopf. Vielleicht ist sie gefährlich.«
»Ach was, ich glaube, sie ist einfach eine nette, wenn auch verschrobene alte Frau. Sie wird mich schon nicht fressen.«
Sie passierten rechter Hand die Einfriedungsmauer, die den Kirchhof von St. Peter zur Straße hin abschirmte, und als diese Mauer endete, machte Fygen große Augen. Wie Katryns Mutter gesagt hatte, waren hier Felder angelegt, gab es Obstwiesen und Rebstöcke – mitten in der Stadt.
Kurz darauf bogen die Mädchen rechts auf einen staubtrockenen Feldweg ein. Ausladende Apfelbäume standen rechts und links des
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