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Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Titel: Die Seidenweberin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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Weges, üppig behangen mit Früchten. Hartnäckig umschwirrte eine fette Hummel die Mädchen. Ein warmer Wind trug den Geruch von frisch geschnittenem Gras herüber, und in einiger Entfernung sahen sie einen Obstbauern, der seine Früchte begutachtete. Tief atmete Fygen die vertrauten Gerüche ein, und schon nach wenigen Schritten konnte sie vergessen, dass sie sich inmitten einer riesigen Stadt befand.
    Müßig schlenderten sie die staubigen Wirtschaftspfade entlang und genossen die Trägheit des Nachmittags. Die Schatten der Baumkronen krochen immer weiter weg von ihren Stämmen, und das Gras färbte sich unmerklich golden. Es war noch sehr warm, und als sie des Herumspazierens müde waren, suchten sie sich ein Plätzchen im Gras unter einem ausladenden Birnbaum. Hier lagen sie faul im Schatten, bis es Zeit für den Heimweg war. Sie folgten dem Feldweg, der sie zu den Apfelbäumen geführt hatte, bis zu seinem Ende, wo er zwischen zwei Höfen auf die Cäcilienstraße traf. Ein Stück hinter der Kirche St. Cäcilia wand sich die Straße nach rechts. Die städtische Wollküche, in der die Rohwolle gereinigt, von Fett befreit und darüber hinaus rege gehandelt wurde, hatte diesem Teil der Straße ihren Namen gegeben.
    Genau an der Straßenkrümmung stand ein imposantes, viereckiges Gebäude mit schmalen Fenstern und stolzen Erkertürmen, die von zierlichen Säulen getragen wurden.
    »Oh«, rief Fygen, »ist das nicht ein wunderschönes Haus?«
    »Von einem Haus würde ich nicht sprechen. Es ist ein Hof. Mehr noch, ein Hofgut.«
    »Es ist himmlisch. Und es sieht noch so neu aus«, schwärmte Fygen. Bewundernd blickte sie zu den Wasserspeiern auf, die wie lebende Gesichter auf sie herabgrinsten. Der Steinmetz, der sie geschaffen hatte, musste ein humorvoller Mann gewesen sein.
    »Es sieht aus wie der Gürzenich, das Tanzhaus hinter dem Alten Markt, findest du nicht auch? Ein kleiner Gürzenich«, meinte Katryn.
    Ein niedriges, steinernes Querhaus zog sich halbrund um die Biegung der Straße herum und verband das Haupthaus mit einem schmalen Torhaus. Dieser Höhenunterschied ließ das Hauptgebäude noch gewaltiger wirken. Das Torhaus hatte ein deutlich überhängendes Obergeschoss, und zu Fygens Freude stand das massive Tor darunter einladend weit offen.
    »Komm mit, wir schauen uns den Hof an«, sagte sie und fasste Katryn am Ärmel.
    »Bist du wahnsinnig? Du kannst doch nicht einfach da hereinspazieren. Was willst du sagen, wenn uns jemand sieht? Guten Tag, ich heiße Fygen und will Euer Haus anschauen, weil ich es schön finde?« Katryn tippte sich mit dem Finger an die Stirn.
    »Ja, so ungefähr. Nun komm schon.« Entschlossen schritt Fygen durch den Torbogen. Widerstrebend folgte Katryn der Freundin. Vielleicht konnte sie so Schlimmeres verhindern und Fygen doch noch zur Umkehr überreden. Fygen betrat einen gepflasterten Innenhof, der sich links am Querhaus entlang zum Haupthaus hinzog. Geradeaus ging der Hof in einen Grasplatz über, der sich in seinem hinteren Teil zu einem Baumgarten wandelte. Fygen sah einige hölzerne Bauten. Stallungen, vermutete sie, und einen überdachten Pütz mit sorgfältig gemauerter Einfassung. Sie machte ein paar Schritte auf das Haupthaus mit seinen verzierten Eckwarten zu, als aus einer Tür des Querhauses ein grollendes Knurren ertönte. Fygen wandte den Kopf, gerade noch rechtzeitig, um einen wütenden braunen Hund auf sich zulaufen zu sehen. Grimmig hatte er die Lefzen hochgezogen und entblößte ein prächtiges weißes Gebiss. Erschreckt machte Fygen einen Satz rückwärts, und die blanken Eckzähne fingen sich in den Falten ihres neuen blauen Kleides. Ein reißendes Geräusch sagte ihr, dass der Stoff dem Angriff nicht standgehalten hatte. Zornesröte stieg dem Mädchen ins Gesicht. Was fiel diesem Köter ein, ihr neues Kleid zu ruinieren?
    »Schluss jetzt«, schrie sie das Tier an. Verblüfft hielt der Hund mitten in seiner Bewegung inne und schaute ihr ins Gesicht. »Was fällt dir ein?«, schimpfte Fygen weiter, und das verdatterte Geschöpf setzte sich. Fragend sah er Fygen mit seinen intelligenten braunen Augen an, und Fygen stellte fest, dass er ein wunderschönes kastanienfarbenes Fell hatte. Erst jetzt wurde Fygen klar, in welcher Gefahr sie sich befunden hatte, und sie war sich nicht sicher, ob sie dem Vierbeiner trauen konnte. So wie er nun vor ihr saß, die Vorderpfoten ordentlich nebeneinandergestellt, die rosafarbene Zunge halb aus dem geöffneten Maul

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