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Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Titel: Die Seidenweberin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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heraufzuziehen.
    Das alles hatte nur ein paar Sekunden gedauert, und nun war auch Peter an Fygens Seite. Mit sicherem Griff packte er den Jungen und zog ihn über die Brüstung in den Saal hinein. Diejenigen Gäste, die das drohende Unglück bemerkt hatten, umringten die Braut, die vor Schreck ganz aufgelöst mit zerrissenem Kleid auf dem Boden hockte, den weinenden Knaben fest an sich gedrückt hielt und leise beruhigend auf ihn einredete. Erst jetzt bemerkte Fygen, dass auch ihr Tränen über das Gesicht liefen. Langsam beruhigte Herman sich, und Fygen stand auf und bemühte sich, ihre Fassung wiederzuerlangen. Wo war nur Sewis abgeblieben, fragte sie sich und schaute sich suchend um. Doch Sewis war nirgends zu sehen. Hatte sie am Ende gar nicht mitbekommen, in welcher Gefahr ihr Sohn geschwebt hatte? Sie würde einen gehörigen Schreck bekommen, wenn sie davon erfuhr.
    Peter gab den Musikern ein Zeichen, und kurz darauf war die Stimmung beinahe so ausgelassen wie zuvor, es war ja nichts Ernstliches geschehen.
    Doch es dauerte nicht lange, da wurde die Hochzeitsgesellschaft aufs Neue aufgeschreckt. Es tat einen Schlag, und mit dumpfem Krachen kippte Rudolf van Bensberg ohne Vorwarnung und mit stumpfem Blick von seiner Bank. Mertyn, der in seiner Nähe saß, konstatierte Volltrunkenheit, so etwas war der Sache nach nicht ungewöhnlich. Im Verlauf der Feier würden es Rudolf noch ein paar weitere Gäste gleichtun. Ungewöhnlich war nur die frühe Tageszeit, zu der es Rudolf ereilte. Voller Mitgefühl packte Mertyn ihn mithilfe seiner Freunde an Armen und Beinen und schaffte ihn in den hinteren Teil des Saales, wo er ihn auf eine Bank bettete, auf der Rudolf in Ruhe seinen Rausch ausschlafen konnte. Nur ein paar Eingeweihte erahnten, was der Grund für seinen schnellen Abschied gewesen sein mochte.
    Als die Musiker eine wohlverdiente Pause einlegten, verließ Fygen mit Katryn den Saal, um die heimliche Kammer hinter dem Haus aufzusuchen und ihr Kleid notdürftig zu reparieren. Zu ihrer Überraschung entdeckten sie Sewis auf den Stufen im Durchgang zum Hof. Sie war nicht allein. Die junge Frau hatte es sich auf dem Schoß eines untersetzten Herrn in mittleren Jahren bequem gemacht, einen Arm um seinen Hals geschlungen, und kicherte albern. Fygen kannte den Herrn nicht persönlich, wusste aber, er war Kaufmann, vermutlich also einer der Geschäftspartner Peters, die er zu seiner Hochzeit einladen musste. Er war verheiratet, Vater dreier Kinder und stand zudem im Ruf, ein Föttchesföhler zu sein, also jemand, der Frauen gerne den Hintern tätschelte. Der Mann hatte eine seiner Hände auf Sewis’ Körper liegen, auf einer Stelle, wo es zumindest unschicklich war. Mit der anderen Hand gestikulierte er wild, während er auf Sewis einredete.
    Fygen packte ein gerechter Zorn. Der süße kleine Herman, ihr Patenkind, wäre beinahe verunglückt, nur weil seine liederliche Mutter nicht auf ihn achtgab, sondern es vorzog, hier auf der Treppe zu sitzen und sich von einem fremden Mann betatschen zu lassen. Was fiel Sewis nur ein! »Was sitzt du hier herum?«, fragte sie barsch. »Dein Herman wäre eben beinahe zu Tode gekommen.«
    Sewis hatte in der Tat von den Geschehnissen nichts mitbekommen. Erstaunt schaute sie Fygen mit großen Augen an. So einen Ton war sie von ihr nicht gewohnt. Den Mund spöttisch verzogen, antwortete sie lax: »Der ist schon ein großer Junge und kann gut auf sich selber aufpassen.«
    Fygen hatte bereits den Mund zu einer heftigen Entgegnung geöffnet, als Katryn ihr zuraunte: »Lass nur, du wirst sie nicht ändern.«
    Fygen bebte vor Wut, am liebsten hätte sie Sewis ausführlich erklärt, wie gut der Kleine tatsächlich auf sich aufpassen konnte, doch Katryn hatte recht. So war Sewis nun einmal. Man konnte nur hoffen, dass Herman schnell groß würde und auf eigenen Füßen zu stehen lernte. So presste Fygen die Lippen aufeinander und schwieg, doch es dauerte eine gute Weile, bis sie ihrer Wut Herr wurde.
    Das Tanzen und Feiern half den Gästen dabei zu verdauen, und so geziemte es sich, ihnen nach ein paar Stunden erneut ein Mahl zu servieren, wenn möglich noch üppiger, mit noch erleseneren Speisen.
    Danach musste das Brautpaar ein paar fragwürdige Darbietungen und Reden über sich ergehen lassen. So stimmten Mertyn und seine Freunde ein zotiges Lied an, das von dem Ehemann kündete, der in der Hochzeitsnacht feststellen musste, dass seine frischgebackene Ehefrau über erhebliche Erfahrungen in der

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