Die Seilschaft
Ute Mayer an ihre Seite. Arm in Arm winkten sie den Menschen zu. Bis auf eine kleine Gruppe, die sich durch Spruchbänder und Pfiffe bemerkbar machte, schien ihnen die Zustimmung sicher. Unter den vorwiegend jungen Protestierenden erkannte Kilian ein bekanntes Gesicht.
Es war Werner Schwerdt, der sich offenbar in die Dienste der Opposition gestellt hatte. Er skandierte mit einem Megaphon Parolen gegen die beiden Frauen.
Ute Mayer reagierte darauf weniger gelassen, als es Kilian erwartet hätte. Sie forderte einen Ordner auf, für Ruhe zu sorgen. Der bahnte sich sodann mit einer Gruppe Helfer den Wegdurch die Menge. Als die ersten Spruchbänder zu Boden fielen, kam es zu Handgreiflichkeiten.
Sandra Wagner trat ans Mikrophon. «Bitte beruhigen Sie sich …»
Doch kaum hatte sie die ersten Worte gesprochen, flogen Gegenstände auf die Bühne, darunter Farbbeutel.
Selbst Kilian musste in Deckung gehen. Die Farbbeutel zerbarsten wie reife Melonen auf dem Bus und färbten das Parteisignet rot. Er rettete sich ins Innere.
Kurz darauf folgten Ute Mayer und Sandra Wagner unter einem gellenden Pfeifkonzert. Die beiden Frauen nahmen ihn nicht wahr. Zu sehr waren sie mit den unerwarteten Protesten beschäftigt.
«Das darf doch nicht wahr sein», schimpfte Sandra Wagner. «Ich dachte, du hättest hier alles im Griff. Und jetzt das.»
«Hatte ich auch», verteidigte sich Ute Mayer. «Aber mit Werner habe ich nun wirklich nicht gerechnet. Weiß der Teufel, aus welchem Loch er wieder hervorgekrochen ist.»
«Du solltest dich doch um ihn kümmern.»
«Habe ich das vielleicht nicht getan?»
«Offensichtlich nicht. Wie kommt es dann, dass er diese Idioten anführt und uns mit Farbbeuteln bewirft? Und das vor aller Augen.»
Sie blickte an sich hinunter. Einigen Farbspritzern hatte sie nicht ausweichen können.
«Das Kostüm kann ich wegschmeißen. Hast du eine Vorstellung, was …»
Ute Mayer fiel ihr erbost ins Wort.
«Weißt du, was mich dein dämliches Kostüm interessiert? Du kannst dir morgen ein neues kaufen.»
Auch sie war nicht verschont geblieben. An Beinen und Rocksaum klebte frische Farbe. Sie nahm ein Taschentuch zur Hand.
«Das wird er mir büßen.»
«Was willst du unternehmen?»
«Mir fällt schon was ein.»
«Dann sorge dafür, dass sich so etwas nicht wiederholt. Schwerdt ist der Letzte, der uns so kurz vor dem Ziel noch in die Quere kommen darf.»
Ute Mayer reagierte aufbrausend.
«Herrgott. Ich sagte doch, dass ich mich um ihn kümmere.»
«Das sehe ich.»
«Spar dir das Gezicke für deinen Mann auf. Du hast allen Grund dazu.»
«Lass Edgar aus dem Spiel», fauchte Sandra Wagner sie an. «Er hat nichts mit dir zu schaffen.»
«Aber mit meinen Mitarbeitern.»
«Das war eine einmalige Sache.»
Ute Mayer grinste hinterhältig.
«Glaubst du das wirklich?»
«Zwischen Edgar und mir ist wieder alles in Ordnung. Er hat sich entschuldigt, und ich habe ihm verziehen.»
«Wenn es nur so einfach wäre.»
«Was meinst du damit?»
«Dass er die Finger nicht bei sich behalten kann.»
«Das glaube ich dir nicht. Edgar hat es mir hoch und heilig versprochen.»
«Glaub, was du willst. Dir ist nicht mehr zu helfen.»
Sandras Eifersucht war geweckt.
«Jetzt erzähl schon. Was soll er deiner Meinung nach wieder gemacht haben?»
«Frag nicht. Du willst es ohnehin nicht wissen.»
«Doch. Jetzt und hier. Sag, was du weißt.»
Ute Mayer seufzte. «Wie du willst. Dein lieber Edgar und so ein dummes Ding aus meiner Ortsgruppe haben es miteinander getrieben.»
«Du lügst», fuhr Sandra sie an.
«Das tue ich nicht … Aber es ist auch egal. Es kann einfach nicht sein, was nicht sein darf, selbst wenn sie es vor deinen Augen täten.»
«Halt deinen gottverdammten Mund!», schrie Sandra sie an. «Edgar würde so etwas nie tun.»
«Das hat er bereits getan.»
«Ich habe ihm verziehen.»
«Aber er hat es wieder getan.»
Sandra war drauf und dran, handgreiflich zu werden, als sich jemand an der Tür bemerkbar machte.
«Entschuldigen Sie», sagte die junge Reporterin, «die Aufregung hat sich gelegt. Können wir nun mit unserem Interview beginnen?»
Es dauerte einen Moment, bis Sandra Wagner die neue Lage realisierte, und obwohl das Blut in ihren Adern kochte, schaffte sie es, den Streit mit Ute Mayer beiseitezuschieben.
«Klar, kommen Sie rein», sagte sie mit einem professionellen Lächeln, das sie selbst gegenüber Ute Mayer aufrechterhielt. «Das ist doch okay für dich?»
Auch Ute Mayer
Weitere Kostenlose Bücher