Die Sekte der Engel: Roman (German Edition)
nicht der richtige Augenblick, um Späße mit mir zu treiben! Schämen Sie sich! Marchese Cammarata ist ein herzensguter Mensch, der keiner Fliege etwas zuleide tun würde!»
«Fragen Sie Ihren Sohn, Signora.»
«Aber warum sollte der Marchese so etwas tun?»
«Weil er überzeugt ist, dass Luigino seine älteste Tochter Paolina geschwängert hat.»
Da sprang die Frau von ihrem Stuhl auf, stürzte zur Treppe, rannte hinauf, trat ins Zimmer des Sohnes und schlug ihm heftig ins Gesicht.
Augenblicklich schoss Blut aus den Wunden, die sich durch den Schlag wieder geöffnet hatten.
Aber das bemerkte Luiginos Mutter nicht einmal.
«Feigling! Dreckskerl! Sich an der unschuldigen Tochter meiner Cousine zu vergreifen!»
«Halte sie fest», sagte Teresi zu seinem Neffen.
Zu zweit packten sie die Frau und schleiften sie abermals nach unten ins Arbeitszimmer.
Teresi sperrte die Tür ab und steckte den Schlüssel in seine Hosentasche.
«Versuchen Sie, ruhig zu bleiben, Signora. Ihr Sohn hat eine ganze Nacht lang im Fieberwahn gesprochen. Ich habe aufgeschrieben, was er sagte. Und es ist Ihnen wohl bekannt, dass man im Fieber die Wahrheit spricht.»
Er reichte ihr ein Blatt Papier.
«Würden Sie das bitte lesen?»
Ebenfalls um vier Uhr nachmittags verfrachtete Dottor Palumbo Rosalia Pampina, die sich noch immer weigerte, auch nur einen Tropfen Wasser zu trinken, und weiterhin mit aufgerissenen Augen stumm und reglos dasaß, mit Hilfe der Frau des Notars und eines Dienstmädchens in seine Kutsche und brachte sie ins Krankenhaus von Camporeale. Der dortige Arzt untersuchte sie und sagte dann zu seinem Kollegen aus Palizzolo:
«Ich muss Anzeige erstatten.»
«Dann tu das», sagte Palumbo.
Eine halbe Stunde später wurde die Anzeige, in der von schwerster, mehrfacher genitaler und analer Vergewaltigung der jungen Rosalia Pampina, wohnhaft in Palizzolo bei dem Notar Giallonardo, die Rede war, Tenente Di Lullo, dem Kommandanten der Carabinieri in der Polizeistation von Camporeale, zur Kenntnis gebracht. Und dieser leitete sie unverzüglich an den Zuständigen, nämlich Capitano Montagnet, weiter.
Als die Anzeige auf dem Schreibtisch des Capitano ankam, wunderte dieser sich nicht. Er kannte die Geschichte von Rosalia Pampina schon, weil Oberleutnant Villasevaglios sie ihm erzählt hatte, der sich die Namen und Nachnamen der drei vom Briganten Salamone vergewaltigten Frauen hatte geben lassen, bevor er sie entließ.
Als eingefleischter Sbirre war der Capitano skrupulös genug, bei den Giallonardo vorbeizuschauen. Den Notar traf er nicht an, aber seine Frau, Signora Romilda, sagte ihm alles, was er wissen wollte.
«Wer kann das nur gewesen sein?», fragte die Signora schließlich. «Uns hat sie nichts gesagt, als sie zurückkam. Und es kann ja nur in der Nacht passiert sein, die sie draußen verbracht hat.»
«Höchstwahrscheinlich», sagte der Capitano, ohne die Geschichte vom Briganten zu erzählen.
Er bedankte sich und ging hinaus. Wenn Rosalia noch gesprochen hatte, bevor sie in die Kirche ging, warum hatte sie dann nach ihrer Rückkehr nicht mehr gesprochen? Möglich, dass der Schock wegen der erlittenen Gewalttaten mit einer Art Spätzündung erfolgt war. Oder hatte es die fromme Kirchgängerin erschüttert, dass der Priester ihr nach der Beichte die Absolution verweigert hatte? Aber hatte er sie ihr verweigert und warum?
Die Kleine hatte sich heftig gegen die Vergewaltigung gewehrt, nach Villasevaglios’ Bericht war sie verstörter gewesen als die anderen beiden, und er hatte seine liebe Mühe gehabt, sie zu beruhigen. Der Capitano beschloss, mit dem Priester der Kirche San Cono zu sprechen.
Padre Filiberto Cusa erklärte gleich zu Beginn des Gesprächs, über Rosalia Pampina könne er dem Signor Capitano nur sagen, dass sie ein sehr ernsthaftes, gottesfürchtiges Mädchen sei, das jede Woche zur Beichte und zur Kommunion gehe.
«Als sie an jenem Abend hierhergekommen ist, hat sie da gebeichtet?»
«Deswegen war sie gekommen.»
«Hat sie Ihnen von der Vergewaltigung gesprochen?»
«Darauf darf ich Ihnen keine Antwort geben, das wissen Sie genau.»
«Eine letzte Frage, Hochwürden. Haben Sie ihr die Absolution erteilt?»
«Sie sind sehr geschickt, Capitano. Wenn ich auf diese Frage antworte, würde ich indirekt zugeben, dass Rosalia mir etwas so Schwerwiegendes gebeichtet hat, dass die Absolution in Frage gestellt war. Aber ich will Ihnen etwas sagen, was Ihnen vielleicht behilflich sein kann. Für uns
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