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Die seltene Gabe

Die seltene Gabe

Titel: Die seltene Gabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena
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leuchten, in der der Weg schräg von der Bahnlinie wegzuführen versprach. »Wie wär’s damit?« »Von mir aus«, sagte ich. Armand ging voran, den Lichtstrahl der Lampe vor sich auf den Boden gerichtet. Eine Weile konnten wir dem Feldweg folgen, doch der endete kurz darauf in einer Wiese. Es gab keine Abzweigung, auch keine Fortsetzung in Reichweite der Taschenlampe, also stapften wir einfach weiter, über weichen, unebenen Wiesenboden hinein in die Dunkelheit. »Ich kenne Julien schon lange«, erzählte Armand irgendwann. »Er ist felsenfest davon überzeugt, dass er mich kennt, sich in mich hineindenken kann und so weiter, aber in Wirklichkeit ist er ein Idiot. Es muss schwierig sein, Leute für diese Sicherheitsjobs zu finden, denn die anderen halten ihn auch für einen Idioten und wären ihn schon längst gern los. Vorhin im Zug hat Julien mir natürlich alles erzählt, mir stolz auf die Nase binden müssen, was für ein toller Hecht er ist. Weißt du, wie in diesen Filmen, wo der Bösewicht dem Helden auch immer lang und breit seine finsteren Pläne erklärt. Julien hat in seinem Leben zu viele Gangsterfilme gesehen, wenn du mich fragst.« »Na ja«, meinte ich misslaunig. »Immerhin hat er uns tatsächlich gefunden.« Der Boden wurde fester und wir mussten einigen Bäumen ausweichen. Im Gehen entfernte ich behutsam das Taschentuchstück, das ich mir im Zug in die blutende Nase gestopft hatte, wobei ich Papiertaschentücher griffbereit hielt für den Fall, dass sie immer noch blutete. Aber das tat sie zum Glück nicht. Ich steckte das Päckchen zurück in die Umhängetasche. Ich hatte keine Vorstellung davon, wie die Landschaft aussehen mochte, durch die wir mehr stolperten als wanderten. Das Licht aus der Taschenlampe beleuchtete einen kleinen Kreis vor Armands Füßen und der Widerschein ließ einen die nächste Umgebung umrisshaft erahnen, aber ansonsten herrschte ringsum stockfinstere Nacht. Wo war eigentlich der Mond abgeblieben? Er musste hinter dichten Wolken verschwunden sein. »Ja, zugegeben«, meinte Armand nach einer Weile. »Er hat uns gefunden.« »Wie eigentlich?« »Sie haben in Stuttgart die Leute vom Fahrkartenverkauf befragt und herausgefunden, dass wir Fahrkarten nach Dresden gekauft hatten. Das passte auch dazu, dass uns die beiden Wachleute vor dem ersten Zug nach Dresden aufgegriffen hatten. Damit waren die Ereignisse des Abends geklärt, alle waren zufrieden und man ist davon ausgegangen, dass ich etwas anderes versuchen würde. Nur Julien nicht. Er hat sich in mich hineingedacht und ist zu dem Schluss gekommen, dass ich es unter allen Umständen darauf anlegen würde, diesen zweiten Nachtzug zu kriegen. Womit er ausnahmsweise mal ins Schwarze getroffen hat. Weil er aber bei den anderen als crétin gilt, hat er niemandem etwas davon erzählt, sondern sich ganz allein in unseren Zug gesetzt und einfach gewartet. Er muss uns die ganze Zeit belauert haben, kannst du dir das vorstellen? Er hat abgewartet, bis wir beide schlafen, damit er mich mit dem Antipsychen überwältigen kann. Er wollte es um jeden Preis alleine schaffen, um es den anderen zu zeigen.« »Mir ist rätselhaft, wie er es geschafft hat, unbemerkt ins Abteil zu kommen«, gestand ich. »Ich meine, so eine Abteiltür macht doch immer einen Mordsrumms, wenn man sie aufzieht.« »Da gibt es Tricks, und die haben sie ihm so eingebläut, dass selbst er sie draufhat. Mit einem Messer, einem Fläschchen Öl, einem Stück Draht und einem Feuerzeug vollbringt so ein Agent Wunderdinge, glaub’s mir. Juliens Problem war, dass sein Handy nicht funktioniert hat. Ein Funkloch vielleicht, oder weil es ein französisches Modell ist, das zu den Netzen hier nicht kompatibel ist, oder vielleicht war er auch einfach nur zu doof. Jedenfalls war das der Grund, warum er uns aufgescheucht hat: Er wollte mit uns zum Schaffner und dessen Zugtelefon benutzen. Er konnte es nicht erwarten, die anderen anzurufen und seine Heldentat hinauszuposaunen.« »Na toll«, meinte ich unlustig. »Und deswegen geistern wir hier durch die Nacht.« Armand schwenkte den müden Lichtkegel in die Runde, was aber nur noch mehr Wiese erahnen ließ. »Ich verstehe das nicht«, bekannte er. »Irgendwann müsste doch mal wieder eine Siedlung auftauchen.« Ich verstand es auch nicht wirklich. Jedenfalls stapften wir weiter, hintereinander und zunehmend schweigsam, und ich könnte beim besten Willen nicht sagen, wie lange. Manchmal beschlich mich das Ge fühl, es müsse

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