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Die seltene Gabe

Die seltene Gabe

Titel: Die seltene Gabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena
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Beinen und ich spürte bei jedem Schritt, wie Wasser in meinen Schuhen quietschte. Wir marschierten den Asphaltweg entlang, vorbei an Gestrüpp, dessen Zweige weit in den Weg hineinragten und wie schwarze Krakenarme nach uns zu greifen schienen. Immer wieder mussten wir großen Löchern im Belag ausweichen, in die ab und zu jemand ein bisschen Kies hineingeleert hatte, meistens aber nicht. Und bei all dem spürte ich, wie die Kälte mir in alle Gliedmaßen kroch.
    »Man sollte meinen, dass so ein Weg nicht von nirgendwo nach nirgendwo führt«, meinte Armand nach einer Weile. »Irgendwann muss doch ein Dorf oder so was auftauchen.« »Hoffentlich bald«, sagte ich. »Sonst erfrieren wir vorher.« Armand brummte etwas, das im pladdernden Geräusch des Regens unterging. Dicke Regentropfen zerplatzten in dem gelblich glimmenden Lichtkreis aus der Taschenlampe, der vor uns über den Asphalt zitterte, zu winzigen Fontänen. Ich begann allmählich zu zittern vor Kälte. Mittlerweile hatte ich herzlich genug von diesem Abenteuer. Himmel, ich hätte jetzt in dem Zug nach Dresden sitzen können, in einem geheizten Abteil ganz für mich alleine! Wenn ich nicht so gefühlsduselig gewesen wäre, immerhin meinem Entführer in die Nacht und das Unbekannte hinterherzuspringen. Solche Gedanken gingen mir durch den Kopf und schienen einen seltsam sauren Geschmack auf der Zunge zu hinterlassen. »Ein Haus«, sagte Armand plötzlich. Ich spürte meinen Kopf wie von selbst hochrucken. »Wo?« Als wären seiner Stimme einige telekinetische Kräfte erhalten geblieben. Es war keine Siedlung, kein Dorf, es war wirklich nur ein einziges Haus. Nein, nicht einmal ein Haus – ein Häuschen. Ein winziges Gartenhäuschen, unter einem großen Baum und hinter einigen Büschen versteckt, auf einem Grundstück, das sich am Rand eines Ackers in die Gabelung von zwei Feldwegen gequetscht hatte. Ansonsten war weit und breit kein anderes Gebäude zu sehen. Es war sowieso nicht viel zu sehen in der Dunkelheit. Wir standen an dem von Rankengewächsen überwucherten, verrosteten Drahtzaun und betrachteten das Anwesen im Schein der Lampe. Ich hatte natürlich schon Gartenhäuser gesehen; bei uns oben am Waldrand zum Beispiel gibt es eine ganze Kolonie von Schrebergärten, in denen an warmen Sommersonntagen immer jede Menge los ist. Doch die Gartenhäuser dort sind bessere Geräteschuppen, hölzerne Verschläge mit allenfalls einer Terrasse davor. Dieses Häuschen dagegen sah aus wie ein richtiges Haus im Zwergenformat. Es wirkte, als habe einstmals jemand beim Bau eines richtigen Hauses ein paar Paletten Ziegelsteine, Dachziegel und einige billige kleine Fenster übrig behalten und daraus dieses niedliche Gebäude errichtet, damit seine Kinder darin spielen konnten. Doch diese Kinder mussten inzwischen längst erwachsene Leute sein. Das Häuschen war alt und im Lauf der Jahre gründlich verwittert. Auf den Dachziegeln wuchs Moos so dicht wie ein Rasen, an den Hausecken bröckelte der grau gewordene Putz und von den schmalen, einst weiß gestrichenen Fensterrahmen war die Farbe weitgehend abgeblättert. Und alles, was auf dem kleinen Grundstück darum herumwuchs, musste schon seit Jahren dort wuchern, unbehelligt von Gärtnern oder anderen menschlichen Einflüssen. »Sieht aus wie ein Puppenhaus«, murmelte Armand. »Ob jemand darin wohnt? Zwerge vielleicht?« Ihm schienen die gleichen Gedanken gekommen zu sein wie mir. Mir war jedoch nicht nach Scherzen zu Mute. Wenn einem die Kleidung nasskalt auf der Haut klebt, wird man ziemlich rasch völlig humorlos. »Es sieht nicht bewohnt aus«, erwiderte ich. »Sicher ein Wochenendhäuschen oder wie man das früher genannt hat. Und sparsam gebaut. Wenn jemand da wäre, stünde ein Auto irgendwo oder zumindest ein Motorrad.« »Das werden wir gleich genau wissen«, meinte Armand, stieg über den natürlich ebenfalls niedrigen Zaun und ging zu der kleinen Haustür, an der ein Klingelzug angebracht war. Es war bis auf den Feldweg zu hören, dass drinnen eine Glocke rappelte, als er an der Kette zog, aber nichts geschah. »Niemand zu Hause«, stellte ich das Offensichtliche fest und stieg ebenfalls über den Zaun. Armand bückte sich und beleuchtete das Klingelschild. »Nicht mehr zu entziffern.« Er richtete sich wieder auf. »Aber wem auch immer es gehört, heute Nacht taucht er sicher nicht mehr auf.« »Also«, knurrte ich. Ich hatte wirklich genug von dem Regen. »Dann lass uns einbrechen.«

Kapitel 15 |
    Wir

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