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Die seltene Gabe

Die seltene Gabe

Titel: Die seltene Gabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena
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Armand sich vornüber und erbrach sich auf den blanken Boden. »Die Tür!«, keuchte er dann. »Mach sie zu, schnell!« Ich begriff überhaupt nichts mehr. Der Fahrtwind dröhnte in dem kleinen Vorraum, zerrte an mir. Mit meinen blutigen Fingern nestelte ich ein Papiertaschentuch aus der Hose, betupfte mir damit das Gesicht, das sich richtiggehend taub anfühlte. Hatte Julien mir womöglich die Nase gebrochen? Keine Ahnung. Ich glotzte das Taschentuch an, blutgetränkt war es, meine Güte! Armand erbrach sich noch einmal. Richtig, die Tür. Ja. Ich rappelte mich mühsam auf und langte nach dem Handgriff neben der dunklen Öffnung, durch die der Wind hereinschoss. Nur nicht loslassen jetzt. Ein schmaler Streifen fahlen Lichts fiel hinaus in die Nacht und beleuchtete dahinhuschende Büsche und Riedgräser und den Kiesschotter des Bahndamms. Ich beugte mich vor, packte den Türgriff und zog mit aller Kraft. Der Fahrtwind war anderer Ansicht, wollte die Tür mit aller Kraft offen halten, aber irgendwie schaffte ich es, sie trotzdem zuzuziehen. Das Tosen des Windes brach abrupt ab. Ich ließ mich gegen die Stirnwand fallen und musste erst einmal verschnaufen und mich um meine Nase kümmern. Sie blutete immer noch. Ich versuchte sie mit Daumen und Zeigefinger zusammenzudrücken, um die Blutung zu bremsen, und fischte mit der anderen Hand nach einem anderen Taschentuch. »Was war das, Armand?«, fragte ich dabei nuschelnd. »Was ist mit Julien passiert?« »Das hast du doch gesehen«, brachte Armand mühsam hervor. »Ich habe ihn hinausgeworfen.« Ich sah ihn entsetzt an. »Du hast ihn umgebracht?!« Er schüttelte schwach den Kopf. »Ach was.« Er stöhnte. »Julien ist stahlhart. Ehemaliger Legionär. Ausgebildeter Kämpfer. Ein paar gebrochene Knochen höchstens. Bewusstlos, vielleicht.« »Ich dachte, deine Telekinese ist gelähmt? Durch dieses Mittel, dieses Antipsychen?« Ein Zittern ging durch seinen Körper, als hätte er Schüttelfrost. Meine Güte, er war am Ende seiner Kräfte und ich hatte nichts Besseres zu tun, als ihn mit Fragen zu löchern! »Es...es wirkt nicht wie sonst«, stieß Armand hervor. »Weiß nicht, wieso. Vielleicht, weil er es falsch gespritzt hat. Als er dich noch einmal schlagen wollte, da habe ich...Ich weiß nicht, wie ich es gemacht habe.« Er schloss die Augen. Ich betrachtete ihn besorgt. Er schien ernsthaft krank zu sein. Was sollte ich jetzt machen? Den Schaffner suchen, ihn bitten, den Zug nach einem Arzt abzuklappern? Aber was konnte ein normaler Arzt schon wissen über Dinge wie Telekinese und Gehirnbetäubung und Mittel wie dieses Antipsychen ? Der Zug – halt mal. Der Zug wurde langsamer! Armand schlug die Augen auf und sah mich mit alarmiertem Blick an. »Der Zug bremst«, stellte er fest. Er schien Schwierigkeiten beim Sprechen zu haben. »Das Öffnen der verriegelten Tür hat wahrscheinlich ein Signal ausgelöst.« Tatsächlich hörte man jetzt ein verhaltenes Bremsgeräusch. »Aber warum bremsen sie?«, wunderte ich mich. »Je ne sais pas«, murmelte Armand. Er zog sich ein Stück rückwärts, weg von dem Erbrochenen, und versuchte sich an der Wand aufzurichten. Vielleicht war das eine Vorschrift, überlegte ich dumpf. Dass die Zugbesatzung in so einem Fall verpflichtet war nachzusehen, was passiert war. »Kannst du mir . . .«, begann Armand mit zunehmend undeutlicher werdender Stimme, »kannst du mir bitte . . .?« Ich hatte genug von diesem lästigen Nasenbluten. Die Nase fühlte sich okay an, nicht gebrochen, also drehte ich eine Ecke des Papiertaschentuchs zusammen und stopfte mir das ganze Ding, so fest es ging, in das blutende Nasenloch. So. Jetzt konnte ich erst einmal wieder beide Hände benutzen. Es gab gerade eine Menge zu tun, für das man beide Hände brauchte. Der Zug wurde immer langsamer. Es sah tatsächlich so aus, als wolle er auf freier Strecke stehen bleiben. »Meine Tasche«, brabbelte Armand. »Bitte!« Ich umrundete vorsichtig die Pfütze Erbrochenes, bemüht, nicht allzu genau hinzusehen. »Was?«, fragte ich. »Was ist mit deiner Tasche?« »Bitte hol sie mir.« »Wozu das denn? Ich denke, ich bringe dich besser erst mal zurück ins Abteil, ehe der Schaffner oder sonst jemand auftaucht . . .« »Nein!« Armand atmete keuchend, versuchte sich sichtlich zu konzentrieren. »Nein, ich muss aussteigen. Sobald der Zug hält. Ich muss fort, ehe sie kommen.« »Aussteigen?« Ich schüttelte den Kopf. »Armand, du bist doch fix und fertig.« Er holte Atem.

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