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Die seltene Gabe

Die seltene Gabe

Titel: Die seltene Gabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena
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Türspalt ins Innere. Ich hatte aber keine Lust, länger als unbedingt nötig im Regen zu stehen, also folgte ich ihm, anstatt zu warten. Hinter der Haustür lag ein winziger Flur mit so niedriger Decke, dass ich das Gefühl hatte, mich bücken zu müssen. Um mir nirgends den Kopf anzustoßen, blieb ich, vor dem Regen geschützt, vorsichtshalber doch erst einmal stehen. Ich hörte Armand, wie er die Zimmer abging, Türen öffnete, Schubladen aufzog, und sah den Lichtstrahl der Taschenlampe durch die Dunkelheit geistern. Offensichtlich hatte er eine Menge Erfahrung darin, in anderer Leute Häuser einzudringen.
    Es war unverkennbar, dass das Haus seit langem leer stand. Es roch dumpf, modrig, wie in einer Gruft oder einem Burgverlies. Sogar die Spinnweben, die ab und zu silbern in den Ecken aufleuchteten, sahen alt und staubig aus; die Spinnen hatten wohl auch längst das Weite gesucht. Ich schloss die Tür und folgte Armand, mich an Wänden und Schränken entlangtastend. »Niemand da«, ließ er sich vernehmen, tauchte von irgendwoher auf und richtete die Taschenlampe an die Decke, sodass der Flur in mattes Dämmerlicht getaucht war. Inzwischen sah man, dass die Batterien es nicht mehr lange machen würden. »Niemand da«, wiederholte ich. »Das war doch klar.« »Ja, aber es ist alles so eingerichtet, als könne jeden Moment jemand wiederkommen«, meinte Armand. »Jemand, der vor dreißig Jahren das letzte Mal hier war.« Er schwenkte die Lampe. Alles wirkte sehr altmodisch; der unebene, schwarz-weiß geflieste Fußboden, die verstaubte Blümchentapete, die einfachen, schäbigen Möbel, die von irgendeinem Dachboden zu stammen schienen. »Es riecht jedenfalls wie in einem Familiengrab«, sagte ich. »Wir müssen erst mal alle Fenster aufreißen.« »In der Küche steht ein Kohleofen, und Brennholz und Kohlen sind auch da«, erzählte Armand. »Das heißt, wir können nachher heizen. Falls wir trockene Streichhölzer finden.« Ich nahm ihm die Lampe aus der Hand und ging erst mal selber durch alle Zimmer, um jedes erreichbare Fenster zu öffnen. Das Haus war wirklich entzückend winzig. Es gab ein Wohnzimmer und ein Schlafzimmer, außerdem eine Toilette mit Plumpsklo und die erwähnte Küche, aber man konnte sich in den Räumen kaum umdrehen und die Möbel darin kamen einem alle riesengroß vor. Bei einem der Fenster blieb ich eine Weile stehen, sah hinaus und versuchte die Umrisse des Gartens in der Dunkelheit auszumachen. Jetzt, da wir einen Unterschlupf gefunden hatten, ließ der Regen rasch nach – natürlich, so geht es ja immer, oder? – und selbst der Himmel schien nicht mehr ganz so schwarz und undurchdringlich zu sein wie bisher; an einigen Stellen schimmerte etwas, das der Vollmond sein mochte, der ja nach wie vor über den Wolken leuchten musste. Wie auch immer, jedenfalls erkannte ich die Silhouette eines verkrüppelten, windschiefen Baumes und ich erahnte die Gestalt der Büsche entlang des Zauns. Und über allem lag eine Stille, die einen daran zweifeln ließ, dass so etwas wie eine Welt jenseits des Gartenzauns überhaupt existierte. Ein verwunschener Garten, dachte ich. Ein Ort, an dem die Zeit stillsteht. Als ich in die Küche zurückkam, brannten auf dem kleinen Tisch drei Kerzen, die Armand irgendwo gefunden haben musste, und in ihrem Licht war er dabei, den Ofen anzuheizen. Ich sah ihm eine Weile dabei zu. Er schien das nicht zum ersten Mal zu ma chen. Als das Feuer schließlich tatsächlich brannte, wartete ich noch einen Moment, dann ging ich noch mal durchs Haus, um alle Fenster wieder zu schließen. »Fließendes Wasser haben wir leider nicht«, erklärte Armand, als ich wieder in die Küche kam, die rasch angenehm warm wurde. Nach seinen Arbeiten am Ofen sah er einem Schornsteinfeger nicht unähnlich. »Draußen steht doch diese Wanne voll Regenwasser«, fiel mir ein. »Die können wir hereinholen, damit wir überhaupt Wasser haben.« Unter Mühen trugen wir die kleine Blechwanne herein und stellten sie in der Küche neben dem warmen, knackenden Ofen ab. In einem Schrank entdeckte ich einen vergessenen Kochtopf, mit dem Armand etwas Wasser herausschöpfte, um sich am Spülbecken den gröbsten Schmutz abzuwaschen. Ich ließ mich auf einen der beiden Küchenstühle sinken und genoss es, endlich wieder zu sitzen und es warm zu haben. Ich beobachtete Armand träge, der irgendwo einen Rest uralte Seife und eine Wurzelbürste gefunden hatte und damit seine Finger bearbeitete, als wolle er sich

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