Die seltsame Welt des Mr. Jones
er zum Jahrmarkt gegangen war. An diesem hellen Apriltag hatte er die verschiedenen Kuriositäten und Ungeheuer und Mutanten aus dem Krieg besichtigt. Die Erinnerung stieg in ihm hoch, ein unklares Heimweh nach seiner hoffnungsvollen Jugend, seinen undeutlichen Ambitionen, seinem Idealismus.
Die beiden Menschen auf der Bühne begannen sich zu lieben. Das wurde als Ritual ausgeführt, so oft dargestellt, daß es nichts als eine Reihe von Tanzbewegungen war, ohne Leidenschaft oder Tiefe. Nach einer Weile begann sich das Geschlecht des Mannes zu wandeln. Zwei Frauen bewegten sich auf der Bühne. Zum Schluß verwandelte sich die Gestalt, die ursprünglich als Frau aufgetreten war, in einen Mann. Und der Tanz endete, wie er begonnen hatte: Mann und Frau, die sich liebten.
»Beachtliche Leistung«, gab Kaminski zu, als sich die beiden wieder anzogen, verbeugten und die Bühne verließen. Sie hatten die Kleidung getauscht; die Wirkung war überwältigend. Man zollte ehrlichen Beifall. »Ich weiß noch, als ich das erstemal hermaphroditische Mutanten in Aktion sah. Jetzt scheint es nur ein Beispiel…« Kaminski suchte ironisch nach dem richtigen Wort – »ein Beispiel mehr von Relativismus in Aktion zu sein.«
Geraume Zeit schwiegen alle vier. Schließlich sagte Tyler: »Ich frage mich, wie weit wir gehen können.«
»Ich glaube, wir sind so weit gegangen, wie wir können«, erwiderte Cussick. »Jetzt können wir nur noch hoffen, uns festzuklammern.«
»Sind wir zu weit gegangen?« fragte Kaminski fast flehend.
»Nein«, sagte Cussick sofort. »Wir hatten recht. Wir haben auch jetzt recht. Es ist ein Paradoxon, ein Widerspruch, ein Verbrechen, es zu sagen. Aber wir hatten recht. Insgeheim, versteckt, müssen wir das glauben.« Seine Finger schlossen sich krampfhaft um die kalte Hand seiner Frau. »Wir müssen weiterhin versuchen, unsere Welt vor dem Auseinanderfallen zu bewahren.«
»Vielleicht ist es zu spät«, meinte Kaminski.
»Ja«, bestätigte Nina plötzlich. »Es ist zu spät.« Sie riß ihre Hand zurück. Mit mahlendem Unterkiefer beugte sie sich vor. Ihre Zähne klapperten aufeinander, die Pupillen waren erweitert. »Bitte, Liebling…«
Cussick stand auf, und auch Tyler erhob sich.
»Ich kümmere mich um sie«, sagte Tyler und ging um den Tisch herum zu Nina. »Wo ist die Damentoilette?«
»Danke«, sagte Kaminski und ließ sich von Cussick eine Zigarette geben. Die Frauen waren nicht zurückgekommen. Als er sich Feuer geben ließ, sagte Kaminski: »Sie wissen vermutlich, daß Jones ein Buch geschrieben hat.«
»Unterschiede zu den Veröffentlichungen der Vereinigten Patrioten?«
Kaminski hob sein Paket auf und begann es zu öffnen.
»Das ist eine Zusammenfassung. ›Der moralische Kampf‹ heißt es. Sein ganzes Programm wird darin umrissen, was er wirklich will, wofür er wirklich eintritt. Der Mythos der Bewegung.« Er legte den dicken Band auf den Tisch und blätterte darin.
»Haben Sie das gelesen?« fragte Cussick.
»Nicht alles. Es ist nicht vollständig. Jones verkündet es mündlich. Das Buch wird nach seinen Reden geschrieben – es wächst sehr schnell.«
»Was meinten Sie, als Sie sagten, wir seinen in ihrer Nähe?« fragte Cussick. »Von wem haben Sie gesprochen?«
Ein seltsamer, unaufrichtiger, ferner Ausdruck erschien auf dem Gesicht des älteren Mannes. Er griff nach seinem Buch und packte es wieder ein.
»Ich erinnere mich nicht, das gesagt zu haben.« »Als wir hereinkamen.«
Kaminski legte das Paket wieder auf den Boden.
»Eines Tages werden Sie eingeweiht. Aber jetzt noch nicht.«
»Können Sie mir irgendeine Information geben?«
»Nein, eigentlich nicht. Es läuft schon eine Weile; es ist sehr wichtig. Offensichtlich ist es hier in diesem Gebiet, und ebenso offensichtlich handelt es sich um eine ganze Reihe von Personen.«
»Weiß Jones davon?«
Kaminski schauderte.
»Gott behüte. Klar, vielleicht. Weiß er nicht alles? Jedenfalls kann er nichts dagegen tun – er hat keine Gesetzesmacht.«
»Dann untersteht das der Bureg.«
»O ja«, gab Kaminski zu. »Die Bureg funktioniert noch. Sie probiert es mit ein paar letzten Tricks, bevor sie untergeht.«
»Das hört sich nicht an, als wären Sie der Meinung, wir könnten mit der Sache fertig werden.«
»Hört es sich so an? Wir stehen doch nur einem Propheten gegenüber – damit sollten wir fertig werden. Propheten hat es auch früher schon gegeben; das Neue Testament ist voll
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