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Die Seltsamen (German Edition)

Die Seltsamen (German Edition)

Titel: Die Seltsamen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bachmann
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Feuchte schwarze Augen, und darunter ein Lächeln, ein grässliches Lächeln.
    Es war zu viel für ihn. Zu viel stürzte zu schnell auf ihn ein, ein Rauschen und Brausen, als hätte sich die Zeit beschleunigt. Durch dieses Dachfenster hatte Bartholomew schon Diebe beobachtet, einen Automaten ohne Beine und eine fahle Leiche oder zwei, aber das jetzt war weit schlimmer. Es war gefährlich, und er war gesehen worden. Warum war die feine Dame hierhergekommen? Und warum hatte sie seinen Freund fortgeholt? Bartholomew tat der Kopf weh.
    Er starrte so lange die Holzdielen an, bis er ein Wurmloch vom anderen unterscheiden konnte. Er wusste, dass nicht die Magie ihn so erschüttert hatte. Magie gehörte in Bath zum Alltag, schon immer. Irgendwo in London hatten bedeutende Männer beschlossen, dass es besser war, sie zu unterdrücken, denn die Fabriken sollten weiterhin ihr Werk verrichten und die Glocken regelmäßig läuten, aber viel gebracht hatte es nicht. Die Magie war immer noch da, nur eben versteckt, in den geheimen Winkeln der Stadt verborgen. Hin und wieder sah Bartholomew in der Krähengasse einen Gnom mit funkelnden Augen, der eine Wurzel in der Gestalt eines Kindes hinter sich herschleifte. Die Leute öffneten das Fenster, um zuzuschauen, und wenn jemand dem Gnom einen Groschen oder einen Brotkanten hinunterwarf, ließ er die Wurzel tanzen, sich im Kreis drehen und singen. Und alle Jubeljahre, so hieß es, murmelte die Eiche am Streukupferweg Prophezeiungen. Außerdem war allgemein bekannt, dass die Feenmutter der Familie Buddelbinster Mäuse aus dem Gemäuer rufen und dazu bringen konnte, ihre Suppe umzurühren und die Wolle für ihr Spinnrad zu richten.
    Eine sich im Kreis drehende Säule aus Finsternis war für Bartholomew also nicht unbedingt etwas Schreckliches. Schrecklich war nur, dass es hier geschehen war, hier in seiner schmalen Gasse. Und – Bartholomew Kettle war gesehen worden.
    Inzwischen war die Sonne ganz untergegangen. Die Schatten kamen allmählich hinter den Sparren hervorgekrochen, was Bartholomew dazu veranlasste aufzustehen. Er schlüpfte aus seinem Versteck und lief die Treppe hinunter, wobei er darauf achtete, dass die knarrenden, bei jedem Schritt nachgebenden Stufen ihn nicht verrieten. Gib acht, dass dich niemand bemerkt, dann landest du auch nicht am Galgen.
    An der Tür zu ihrer Wohnung hielt er inne. Öliges gelbes Licht sickerte darunter hervor. Das rhythmische Klappern der mechanischen Wäschemangel hallte dumpf auf den Flur hinaus.
    »Los, los, Hettie«, sagte Mutter. »Trink deine Brühe, und dann ab ins Bett. Diese Lampe hält keine Viertelstunde mehr, und ich brauche sie noch eine Nacht oder zwei.«
    Ein Schlürfen ertönte, und dann murmelte Hettie: »Die schmeckt ja nach gar nichts.«
    Weil sie nur aus Wasser besteht, dachte Bartholomew und lehnte den Kopf an den Türrahmen. Mit Wachstropfen, damit wir glauben, es wäre Fleisch drin. Deshalb waren die Untersetzer der Messingkerzenständer auch jeden Morgen leer. Mutter dachte, sie wäre vorsichtig dabei, aber er wusste Bescheid. Sie wurden mit dem Esslöffel saubergekratzt.
    »Mama, Barthy ist noch nicht wieder da.«
    »Hmm…«
    »Draußen ist es schon dunkel. Es ist doch längst Schlafenszeit, oder?«
    »Mm.«
    »Ich hab da ja eine Vermutung, Mama.«
    »Tatsächlich, mein Schatz…«
    »Willst du wissen, was ich glaube?«
    »Dass wir kein Salz mehr haben.«
    »Nein, ich glaube, dass ein Kelpie ihn geholt und in seine bodenlose Pfütze mit hinabgezogen hat.«
    Bartholomew drehte sich um, bevor seine Mutter antwortete. Sobald sie aufhörte, über das nichtvorhandene Salz nachzugrübeln, würde sie begreifen, was Hettie da plapperte. Ihr würde bewusst werden, dass er sich seit Stunden nicht mehr in der Wohnung hatte blicken lassen. Sie würde in Panik geraten. Vorher musste er wieder zurück sein.
    Die Treppe hinunter ging er auf Zehenspitzen, und dann schrammte er an der Wand entlang bis zur Tür, die auf die Gasse hinausging. Direkt daneben saß auf einem Hocker ein Kobold, der allerdings tief und fest schlief. Bartholomew schlüpfte an ihm vorbei und strich auf der Suche nach dem Riegel mit der Hand über die Tür. In die Tür war ein Gesicht eingelassen – fette Backen und Lippen und schläfrige alte Augen, die aus dem grauen verwitterten Holz herauswuchsen. Seine Mutter hatte ihm erzählt, früher hätte die Tür von den Leuten, die hereinkommen wollten, einen Käfer verlangt, und die Panzer hätte sie den Leuten

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