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Die Seltsamen (German Edition)

Die Seltsamen (German Edition)

Titel: Die Seltsamen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bachmann
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Rede stellte und ihm erklärte, eine liebe Freundin habe ihr erzählt, was vorgefallen war, und er brauche sich deswegen keine Sorgen zu machen, schloss er sich in seinem Arbeitszimmer ein und weigerte sich, es zu verlassen.
    Die meisten von Ophelias »lieben Freundinnen« kannte er nur zu gut. Klatschweiber, alle miteinander. Sie machten es sich zur Aufgabe, alles über jeden herauszufinden und diese Informationen dann unter die Leute zu streuen wie Blumen bei einer Hochzeit. Hatten sie erst etwas Skandalöses erfahren, wusste bald jeder Salon in London darüber Bescheid. Was für eine Demütigung! Was für eine Schande für seinen guten Namen! Bisher war er stets für einen sympathischen Müßiggänger gehalten worden, den man zu einer Party einladen konnte, ohne befürchten zu müssen, er würde heikle Themen wie Feenintegration oder Romane von Charles Dickens zur Sprache bringen. Bisher hatte niemand von Mr.   Jelliby groß Notiz genommen, aber wenigstens hatte auch niemand schlecht von ihm gedacht. Und jetzt? Jetzt würden die Leute anfangen, alle möglichen Geschichten über ihn zu erfinden. Vor seinem geistigen Auge sah er eine Schar Gänse mit langen Hälsen, die, in Reifröcken herausgeputzt, in einem muffigen Salon herumsaßen und über ihn lästerten.
    »Hast du das gehört, Jemima, er hat eine Tür eingeschlagen! O ja, im Haus des Justizministers! Weißt du, er mag ja ein hübsches Gesicht haben und in einem fort lächeln, doch insgeheim scheint er ein äußerst brutaler Kerl zu sein!«
    »Aber gewiss, Muriel. In dem Beruf muss man das sein. Wie es wohl der armen Ophelia ergeht, weiß nur der Himmel. Was ist sie doch für ein Engel – sie macht kein Aufhebens um sich und spricht nur gut von ihm. So ein törichtes Mädchen! Wo er doch ganz offensichtlich ein niederträchtiger Spion ist…«
    Und das war noch nicht einmal das Schlimmste. Ihm graute vor dem nächsten Treffen des Staatsrats. Mr.   Lickerish würde auf jeden Fall anwesend sein. Von den anderen Ratsangehörigen ganz zu schweigen. Sie würden alle Bescheid wissen und sich fragen, ob er für die Amerikaner oder die Franzosen arbeite oder für eine radikale feenfeindliche Gruppierung. Und wie gut er dafür bezahlt werde.
    Aber der Tag ließ nicht lange auf sich warten, ob er nun wollte oder nicht, und als Ophelia ihr Ohr gegen seine Tür presste und ihm erklärte, er müsse sich anziehen, knurrte er, sie solle den Hausdiener mit einer kurzen Mitteilung nach Westminster schicken.
    »Arthur, das würde alles nur noch schlimmer machen«, sagte sie und lehnte den Kopf gegen die Tür. »Du musst dort hingehen und ihnen die Stirn bieten! Du hast nichts zu befürchten.« Sie wartete auf eine Antwort, und als diese ausblieb, fügte sie leise hinzu: » Ich glaube jedenfalls nicht, dass du Mr.   Lickerish ausspionieren wolltest. Und du weißt es. Von dem kleinen Missgeschick mit der Tür einmal abgesehen, hast du nichts Unrechtes getan, und ich habe Mr.   Lickerish bereits eine aufrichtige Entschuldigung geschickt, zusammen mit sechs Guineen für die Reparatur.«
    Mr.   Jelliby brummte etwas und stocherte mit dem Schürhaken in der kalten Asche im Kamin herum. »Sechs Guineen. Sechs Guineen waschen meinen Ruf nicht wieder rein. Ich kann mich nie wieder irgendwo blicken lassen. Dank deiner bescheuerten Freundinnen hätte es ebenso gut auf der Titelseite der Times stehen können.«
    Ophelia seufzte. »Ach, Arthur, so schlimm, wie du es hinstellst, ist es gar nicht. Die Leute reden eben! Und erfinden etwas dazu, um ihren Tratsch ein wenig interessanter zu machen. Weißt du noch, wie ich nach Vaters Tod einmal das blaue Seidenkleid angezogen habe anstatt des schwarzen, aus reiner Gedankenlosigkeit natürlich, aber bald behauptete alle Welt, Papa sei gar nicht mein Vater, ich sei adoptiert und würde aus Indien stammen. Aus Indien, Liebling! Dergleichen kann man nur mit Missachtung strafen. Du musst einfach gut gelaunt und selbstsicher auftreten und…«
    Sie sah sich gezwungen, noch eine gute Viertelstunde auf diese Weise fortzufahren und ihm gut zuzureden, während er schmollte und murrte. Aber es gibt wenige Dinge, die so überzeugend sind wie die Zeit, und schließlich sagte er: »Ach, zum Henker damit«, zog sich an, kämmte sich und trat äußerst vorsichtig aus seinem Zimmer, als erwartete er, dass das ganze Haus über ihn herfallen würde, sobald er im Flur stand. Beinahe war er ein wenig überrascht, als das Dienstmädchen wie immer einen Knicks

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