Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Seltsamen (German Edition)

Die Seltsamen (German Edition)

Titel: Die Seltsamen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bachmann
Vom Netzwerk:
laut über den Boden schlitterte. »Das war ein leckeres Frühstück, Mutter. Kümmer dich nicht um Hettie, die denkt sich das alles nur aus. Sollen wir mal schauen, ob wir hinter dem Haus etwas Sand finden? Was meinst du, Hettie? Na los, komm schon.«
    Mutter nahm wieder ihre Näharbeit auf, jedoch ohne den Blick von Hettie abzuwenden. »Sand. Ja. Holt mir ruhig welchen. Aber Bartholomew…« Ihre Finger gruben sich so fest in die Wolle, dass ihre Knöchel ganz weiß wurden. »Wenn irgendjemand Hettie anschaut, dann bring sie gleich wieder zu mir, ja? Ab durch die Tür, Sand oder kein Sand.«
    »Ja, Mutter. Keine Sorge. Ehe du dich versiehst, sind wir wieder hier.«
    Mrs.   Kettle kümmerte sich um die Wäsche der wenigen Leute, die es sich leisten konnten, sie nicht selbst zu waschen, der wenigen Leute, denen sie weismachen konnte, dass sie eine ordentliche Wäscherei betrieb. In Wirklichkeit beförderte sie die Nachthemden und Unterkleider in einer grünlackierten Schubkarre tief in die Feenslums hinein. Die Lauge kaufte sie von einem Straßenhändler, aber es war schon lange die Aufgabe der Kinder, im Hof hinter dem Haus nach Scheuersand zu graben.
    Hettie band ihre Haube unter dem Kinn fest und ging zu Bartholomew, jedoch ohne seiner ausgestreckten Hand Beachtung zu schenken.
    »Los, gehen wir!«, sagte er im Flüsterton, packte sie an der Schulter und schob sie zur Tür. Nachdem er den Riegel beiseitegeschoben hatte, spähte er hinaus, um sich zu vergewissern, dass dort niemand lauerte. Dann schlich er auf den Flur und bedeutete Hettie, ihm zu folgen. Sobald sie außer Hörweite waren, zog er sie in eine Öffnung unter der Treppe, kniete sich neben sie und flüsterte: »Wo wohnt er, Hettie? Kann er fliegen? War er nett?«
    Seine Schwester sah ihn verständnislos an. »Nett? Wir sollen Sand holen. Was machen wir hier unter der Treppe?«
    »Ja, und wann hast du ihn das erste Mal gesehen? Und was hast du dir dabei gedacht, Mutter einen solchen Schreck einzujagen?« Er schüttelte sie an der Schulter. »Los, Hettie, erzähl schon!«
    »Das war vorgestern«, sagte sie und schob seine Hand fort. »Und du musst nicht so an mir rumzerren. Sonst fällt mir noch der Kopf ab.«
    Der Tag, an dem er die Feenbehausung gebaut hatte. Bartholomew kroch unter der Treppe hervor.
    »Lauf du wieder nach oben, Hettie. Den Sand holen wir später.«
    Es würde Prügel setzen, weil er Hettie alleinließ, aber das durfte ihn jetzt nicht kümmern. Seine Einladung hatte geklappt. Sie hatte geklappt! Er rannte den Flur entlang und die Treppe hinauf, wobei er zwei Stufen auf einmal nahm. Und einen unbeschwerten Moment lang, während er die Treppe emporflog, war er glücklich. Ganz und gar glücklich.
    Dann zog er sich auf den Dachboden hoch, und als ihn die staubige Finsternis umgab, musste er daran denken, dass die Fee Hettie einen Besuch abgestattet hatte und nicht ihm, und Neid bohrte sich ihm wie ein stachliger Distelzweig in die Rippen. Das war ungerecht! Schließlich war es seine Fee. Sie hätte zuerst zu ihm kommen sollen.
    Er schlich über die Dielen und schlüpfte in seine geheime Dachkammer hinein. Die Feenbehausung fand er genau so vor, wie er sie zurückgelassen hatte. Die Dörrkirschen steckten in der geflochtenen Wand. Das Salz, das er auf das Dach gestreut hatte, funkelte wie Schnee im Sonnenlicht. Während der letzten beiden Tage war Bartholomew bei jeder Gelegenheit hier heraufgekommen und hatte den Raum nach dem kleinsten Hinweis abgesucht, dass die Fee gekommen war. Jedes Mal war er enttäuscht worden. Und auch jetzt fand er nichts.
    Er ging auf die Knie und schnaufte verärgert; eine Spinnwebe wurde von seinem Atem hin und her gepustet, hin und her. Was hatte das zu bedeuten? Wenn die Einladung wirkungsvoll gewesen war, warum hatte die Fee dann seine Opfergaben nicht gegessen? Schließlich hatte er genug Zeit damit zugebracht, sie für das alberne Geschöpf zusammenzutragen. Hätte es sich nicht längst melden müssen? Sein Atem beruhigte sich. Das Glücksgefühl, das er gerade noch empfunden hatte, erlosch wie eine Kerze. Wie lange würde er warten müssen?
    Er erinnerte sich an die Worte in dem zerfledderten Buch, über die Fee und wie sie ihrem Besitzer nach Hause folgen sollte. Er hatte noch keine Fee gesehen. Hettie dagegen schon. Und wenn so eine Kreatur in der Lage war, ihm von einem Bach in irgendeinem wilden Wald nach Hause zu folgen, sollten die paar Treppen auch kein Hindernis sein.
    Aber was, wenn die Fee

Weitere Kostenlose Bücher