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Die Seltsamen (German Edition)

Die Seltsamen (German Edition)

Titel: Die Seltsamen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bachmann
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sich gar nicht zeigen wollte? Was, wenn das bei Hausgeistern ganz anders war, wenn er erst nett zu ihr sein und ihr Vertrauen gewinnen musste? In dieser Hinsicht hatte sich das Buch nur sehr schwammig ausgedrückt. Versuchen konnte er es ja einmal. Vielleicht sollte er der Fee einen Brief schreiben, ihr ein paar Fragen stellen, das Blatt Papier in die Feenbehausung hineinlegen und hoffen, dass sie ihm antworten würde. Er wusste nicht, ob Hausgeister überhaupt lesen konnten. Aber ihm wollte nichts einfallen, was er sonst hätte tun können.
    Seine erste Frage würde lauten, was die Muster auf seiner Haut zu bedeuten hatten. Dass es Wörter waren, davon war er überzeugt, aber in welcher Sprache? Sie sahen ein wenig wie die Schriftzeichen aus, die er auf dem Boden des Zimmers mit den Metallvögeln gesehen hatte. Allerdings waren sie bei weitem nicht so kompliziert. Allem Anschein nach handelte es sich sogar nur um zwei oder drei Symbole, die sich ständig wiederholten.
    In einem der alten Bücher war zwischen Einband und Titelblatt eine leere Seite, und diese trennte er, ganz vorsichtig, damit ja nicht der Leim aufplatzte, heraus. Er war im Schreiben nicht besonders geübt. Als er noch sehr klein gewesen war – vor einer Ewigkeit, wie ihm schien –, hatte in der Wohnung nebenan ein junger Kerl gehaust, der grellbunte Westen trug und ständig krank aussah; ein verarmter Maler, der die schmutzigen Straßen und wackligen Häuser des Feenbezirks aus unerfindlichen Gründen pittoresk fand. Er war nicht so gewesen wie die anderen Leute. Als er bemerkt hatte, wie Bartholomew einmal zum Dachboden hinaufrannte, hatte er keine Angst vor ihm gehabt, und er hatte ihn auch nicht unter einem Holunderbusch begraben. Stattdessen hatte er ihm Geschichten erzählt und ihm das Lesen beigebracht. Er hatte Bartholomew auch die Bücher geschenkt, die er jetzt hinter dem Ofen aufbewahrte. Fast waren sie Freunde gewesen. Aber dann war der Maler in einer Kiefernholzkiste hinausgetragen worden, und inzwischen hatte Bartholomew viel von dem vergessen, was er ihm beigebracht hatte. Besonders gut schreiben konnte Bartholomew noch immer nicht. Aber er versuchte es trotzdem.
    Lieber Herr Hausgeist, schrieb er mit einer Feder, die er am Fensterrahmen im Teer gerieben hatte. Der Teer wurde verwendet, um Risse abzudichten, damit kein Regen hereindrang, aber während der Sommermonate wurde er in der heißen Sonne fast flüssig. Als Tinte taugte er nicht besonders viel, denn er war klebrig und ließ sich nur schwer auf das Papier auftragen. Aber woher sollte Bartholomew richtige Tinte hernehmen?
    Ich habe eine wichtige Frage. Ich wäre sehr glücklich und dankbar wegen einer Antwort. Was bedeuten diese Zeichen?
    Daraufhin kopierte er die Schriftzeichen von seiner Haut möglichst getreu auf das Papier. Das war viel leichter, als englisch zu schreiben. Es war mehr wie Zeichnen, und er musste sich keine Gedanken machen, wie die Buchstaben zusammenpassten und welchen Lauten sie entsprachen. Dann kritzelte er:
    Vielen Dank und einen schönen Tag,
    und unterschrieb mit
    Bartholomew Kettle
    Seinen Namen verzierte er mit einem Schnörkel, auf den er sehr stolz war, und schließlich schob er das Blatt vorsichtig in die Feenbehausung. Dann ging er hinunter in die Wohnung, wo er eine Tracht Prügel bezog, weil er Hettie alleingelassen hatte.
    Als Bartholomew in jener Nacht auf seinem Bett lag und, halbwach, von Feen und Schreibfedern und Fragezeichen träumte, hörte er plötzlich ein Geräusch. Ein leises Klicken in der Küche, wie von altem, rostigem Metall, das gegeneinander rieb. Die Wohnungstür. Jemand machte sich am Schloss zu schaffen.
    Er setzte sich kerzengerade auf. Wieder klickte es. Rasch schwang er die Beine über den Bettrand und tapste lautlos zur Tür seines Zimmers. Das Geräusch verstummte. Bartholomew kniete sich hin und drückte ein Auge ans Schlüsselloch. In der Küche herrschte eine gespenstische Stille. Das Feuer war ausgegangen. Mutter schlief in ihrem schmalen Bett, und sämtliche Schlüssel hingen an ihrem Platz an der rückwärtigen Wand: der große Wohnungsschlüssel mit dem breiten Bart; der Schlüssel zu seinem Zimmer; der Schlüssel zum Seifenschrank und zur Hintertür – alle hingen sie an dem Nagel im Putz.
    Irgendetwas stimmte nicht. Noch einmal ließ er den Blick durch die Küche schweifen. Die Tür zu Hetties Schrankbett. Sie stand einen Spaltbreit offen. Und drinnen sang jemand.
    Das Herz rutschte ihm in die Hose. Das

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