Die Seltsamen (German Edition)
nicht, Barthy. Ich mag es nicht, wie er mich anglotzt, so ganz krumm und schief, und seine Lieder mag ich auch nicht. Letzte Nacht bin ich eingeschlafen, während er gesungen hat, und da hatte ich einen schrecklichen Traum.« Ihre schwarzen Augen schimmerten feucht.
»Schon gut, schon gut«, sagte Bartholomew mit sanfter Stimme, kroch zu ihr hinüber und legte den Arm um sie. »Das war nur ein Albtraum. Du weißt doch – ich würde nie zulassen, dass dir was zustößt.«
Hettie vergrub ihr Gesicht in seinem Hemd. »Es hat sich aber nicht wie ein Albtraum angefühlt, Barthy. Sondern als würde es wirklich passieren! Ich hab geträumt, ich liege ganz allein draußen vor der Tür auf dem Flur, und jemand hat meine Zweige am Boden festgenagelt. Ich hab nach Mama gerufen und nach dir, wieder und immer wieder, aber niemand hat mich gehört. Das ganze Haus war leer. Und dann habe ich gesehen, wie alle Spinnen aus den Wänden gekrochen kamen, und die Fledermäuse und Vögel sind auch da rausgeflogen. Ich hab nicht gesehen, vor was sie geflohen sind, aber ich hab’s gehört, es kam durchs Haus auf mich zu und hat ganz schrecklich gequiekt und gezischt. Ich hab den Kopf gedreht und einen Käfer, der vorbeigehuscht ist, gefragt, vor was denn alle weglaufen. ›Vor dem Rattenkönig‹, hat der Käfer gesagt. ›Der Rattenkönig kommt.‹ Und dann ist er weitergerannt und hat mich allein gelassen.« Hettie atmete tief durch. »Weißt du, hinterher geht der Lumpenkerl zu dir ins Zimmer. Nachdem er mir etwas vorgesungen hat.«
Bartholomew erschauderte. Das hatte er nicht gewusst. Er wartete, ob sie weitersprechen würde, aber sie schloss nur die Augen und kuschelte sich an ihn. Einen langen Augenblick blieb er so sitzen und betrachtete sie. Dann rollte er sich ebenfalls zusammen, zog die Decke über sie beide und versuchte zu schlafen.
Es war schon spät, als sich die beiden Frauen im Zimmer nebenan voneinander verabschiedeten. Ihre Stimmen wurden fest und geschäftsmäßig, dann fiel die Wohnungstür ins Schloss, und die Stufen ächzten, als Mrs. Skinner die Treppe hinunterstapfte. Bartholomew befürchtete schon, Mutter könnte vergessen, die Zimmertür aufzuschließen, und er würde noch länger warten müssen, bis er seinen Plan in die Tat umsetzen konnte. Aber während Mrs. Skinners Schritte auf der Krähengasse verhallten und irgendwo in der Nacht eine weitere Tür knallte, kam Mutter zu ihnen herein.
Hettie war in Bartholomews Schoß eingeschlafen. Sie hatte sich zu einer Kugel zusammengerollt. Nur ihre Zweige waren zu erkennen, was aussah, als sprösse aus ihren Kleidern ein kleiner Strauch. Bartholomew tat so, als würde er ebenfalls schlafen. Als er hörte, wie Mutter neben ihnen stehenblieb, bemühte er sich, möglichst leise und regelmäßig zu atmen. Dabei fragte er sich, was für ein Gesicht sie wohl gerade machte.
Nach einer Weile hob sie Hettie aus seinen Armen und trug sie hinaus.
Kaum hatte sie die Tür geschlossen, setzte sich Bartholomew in Bewegung und hockte sich an der Wand auf den kalten Holzboden. Er durfte nicht wieder eindösen. Er durfte es sich nicht zu bequem machen, schließlich musste er eine Fee fangen. Also schlang er sich die Arme um die Knie und wartete, bis im Zimmer nebenan alles still wurde.
Es dauerte eine halbe Ewigkeit. Die Glocken von Bath schlugen ein ums andere Mal die fünf Minuten, durch eine Gasse in der Nähe hallten laute Rufe, und noch immer hörte er Mutter in der Küche rumoren und Dielen knarren – wahrscheinlich stellte sie den Brombeerlikör in seine mit Spinnweben bedeckte Ecke zurück, spülte die Teetassen und zerstieß Blätter und Blumenblüten für die Wäsche morgen. Irgendwann später hörte er sie die Lampe ausblasen; und schließlich ihr leises Schnarchen. Bartholomew rappelte sich auf und schlich in die Küche.
Das Wetter war gut, aber Mutter musste trotzdem den Kanonenofen anheizen, um Wasser für die Wäsche zu kochen, also war im Kohleneimer immer ein ordentlicher Haufen Asche. Bartholomew durchquerte auf Zehenspitzen das Zimmer und hob den Eimer hoch, ängstlich darauf bedacht, ja kein Geräusch zu machen. Der Eimer war zu schwer für ihn, und nach wenigen Schritten musste er ihn wieder absetzen. Er nahm eine Handvoll Asche heraus und verteilte sie auf dem Boden, vor allem direkt vor Hetties Schrankbett. Dann schleppte er den Eimer in sein Zimmer und streute um sein Bett herum ebenfalls einen Haufen Asche aus. Als der Boden schließlich von
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