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Die Seltsamen (German Edition)

Die Seltsamen (German Edition)

Titel: Die Seltsamen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bachmann
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unternehmen.«
    Das 8. Revier der Polizei von New Bath hatte seine Räume in einem flachen Gebäude direkt unter dem Qualm und Funkenregen der eisernen Brücke, die sich zur Stadt emporwölbte. Die Fenster waren rußverschmiert, die Böden seit langem nicht mehr gefegt, und alles, von den Aktenschränken bis zu den Lampenschirmen, roch durchdringend nach Opium.
    Bartholomew und Mr.   Jelliby mussten sich in ein kaltes, kleines Büro setzen, wo ein fortwährend finster dreinblickender Sekretär über sie wachte. Nachdem eine ganze Weile verstrichen war, kam eine junge Frau mit einer rotweißen Haube herein und verband die verschiedenen Wunden von Mr.   Jelliby mit sauberer Gaze. Zu ihm war sie durchaus freundlich, doch Bartholomew warf sie nervöse Blicke zu, und wenn sie in seine Reichweite kam, zog sie ihren Kittel stets ein wenig fester um sich, als befürchtete sie, er könnte daran zupfen. Nach einer Weile ging sie wieder. Erneut warteten sie eine halbe Ewigkeit. Der Sekretär musterte sie unvermindert mürrisch. An der Wand hing eine alte Metalluhr, und ihre klickenden Zeiger schienen die Zeit eher zu verlangsamen denn sie zu zählen.
    Bartholomew tappte mit dem Fuß auf den Boden. Er wollte losstürmen, aus dem Gebäude hinaus und durch die Straßen, bis er Hettie fand. Wie viel Zeit mir wohl noch bleibt? Nicht viel. Bald würde sie so sein wie die anderen Mischlinge, still und tot. Plötzlich sah er sie im Wasser schwimmen. Eine weiße Gestalt, die im Dunkeln auf und ab schaukelte. Ihre Zweige wurden welk, schwammen schlaff in der Strömung. Hettie. Bartholomew kniff die Augen fest zu.
    »Danke, dass du zurückgekommen bist«, sagte Mr.   Jelliby unvermittelt, und Bartholomew zuckte ein wenig zusammen. Mr.   Jelliby saß mit gesenktem Kopf und geschlossenen Augen da. Bartholomew wusste nichts zu erwidern. Eine ganze Weile saß er nur da und versuchte, sich etwas einfallen lassen. Dann ging die Tür auf, ein Inspektor kam herein, und Bartholomew wünschte, er könnte auf Nimmerwiedersehen in den Schatten seines Mantels verschwinden.
    Der Inspektor stellte Mr.   Jelliby zahlreiche Fragen. Mr.   Jelliby hätte ihm am liebsten alles erzählt. Über Mr.   Lickerish, über die Morde an den Mischlingen und über die Federwerkvögel. Sollte sich doch die Polizei darum kümmern. Dafür war sie schließlich da. Doch er wusste, dass er damit nichts erreichen würde. Mr.   Zerubbabel hatte ihm nicht geglaubt. Nicht einmal Ophelia hatte ihm geglaubt.
    Nachdem der Inspektor zu dem Schluss gelangt war, dass Mr.   Jelliby nur sehr wenig wusste, war er gegangen, und ein kleiner bärtiger Mann in einer Tweedjacke hatte seinen Platz eingenommen. Ein äußerst unscheinbarer Mann. Er hatte ein unscheinbares Gesicht, sein kahler Kopf war unscheinbar, und sein zerknautschter Schlips war unscheinbar. Alles an ihm war unscheinbar, außer seinen Augen, die bestürzend blau waren und erschreckend eisig, wie Gletscherwasser. Es sah so aus, als wollte er einen damit verschlingen.
    »Guten Tag«, sagte er mit leiser Stimme. »Ich heiße Dr.   Harrow, und ich leite die Abteilung für Sídhe-Studien am Bradford College. Die Dame, die Sie heute angegriffen hat, ist davon nämlich besessen. Von einer Fee, meine ich, nicht von einem College. Also. Wenn Sie so liebenswürdig wären, mir noch einmal in allen Einzelheiten zu erzählen, wie sie agiert und wie sie re -agiert, wie ihre Stimme klingt und worin ihre thaumaturgischen Fähigkeiten bestehen, wäre ich Ihnen sehr verbunden.«
    Mr.   Jelliby nickte und sah bedrückt unter seinen Verbänden hervor. Er begann eine langatmige Beschreibung, wie er angegriffen, verfolgt und über die Gasse geschleudert worden war. Schließlich traute er sich zu fragen: »Ist es vielleicht möglich, dass ich mit ihr spreche? Besteht denn irgendeine Gefahr? Ich benötige nur einen Moment.«
    Dr.   Harrow sah ihn argwöhnisch an. »Sie behaupten, Sie kennen sie gar nicht?«
    »Ach, nicht im Mindesten«, versicherte Mr.   Jelliby ihm hastig. »Ich… ich würde sie nur gerne etwas fragen, wenn das geht.«
    »Und das da ist ein Gnom?«, fragte der Arzt und wies mit dem Daumen auf Bartholomew. »Er wird draußen bleiben müssen. Sonst hecken die noch etwas Magisches zusammen aus.«
    Daran hatte Mr.   Jelliby nicht gedacht. »Na schön«, sagte er. »Ich bin gleich wieder da, mein Junge.«
    Dr.   Harrow bedeutete Mr.   Jelliby, ihm zu folgen, und die beiden gingen auf den Korridor hinaus und eine

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