Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Shakespeare-Morde

Die Shakespeare-Morde

Titel: Die Shakespeare-Morde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Lee Carrell
Vom Netzwerk:
grün.
    »Ros«, stöhnte
     ich.
    Neben mir tauchte Sir Henry
     auf, gefolgt von Cyril. Er schob mich zur Seite und legte ihr zwei Finger
     an den Hals. Einen Augenblick später richtete er sich auf und schüttelte
     den Kopf. Diesmal fehlten selbst Sir Henry die Worte.
    Ros war tot.

 
    4
    Ein Seufzer, halb Weinen,
     halb Lachen, brach aus mir heraus. An diesem Nachmittag war mir zum ersten
     Mal aufgefallen, dass ich größer war als Ros. Jahrelang hatte
     sie wie eine Riesin auf mich gewirkt. Jetzt, im Tod, schien sie so klein,
     fast wie ein Kind. Wie konnte sie tot sein?
    Sanft, aber bestimmt wurde
     ich von ihr fortgezogen. »Kate«, sagte Sir Henry, und ich
     merkte, dass er zum dritten Mal meinen Namen rief. Kurze Zeit später
     saß ich im Hof des Globe auf der Treppe zur Bühne, den Kopf in
     die Hände gestützt. Ich zitterte, obwohl ich eine Jacke trug.
     Jemand hatte mir eine zweite Jacke, Sir Henrys, um die Schultern gelegt.
    »Trink das«,
     sagte Sir Henry und reichte mir seinen silbernen Flachmann. Der Whiskey
     brannte in meiner Kehle, aber er half mir, allmählich wieder klarer
     zu sehen. Auf der anderen Seite des Hofs hatte man ein weißes Laken
     über die Tote gebreitet. In der unteren Galerie wimmelte es von Sanitätern,
     Feuerwehrleuten und Polizei. Dann lösten sich zwei Männer aus
     der Menge und kamen auf uns zu. Ihre Schritte plätscherten im Löschwasser,
     das immer noch auf dem Hof stand. Ich erkannte Cyril an seinem Watscheln;
     der andere Mann war ein Fremder. Er wirkte geschmeidig und ernst mit
     seiner zimtfarbenen Haut der Karibik, dem glatt geschorenen Schädel
     und den dunklen gebogenen Augenbrauen, die aussahen wie mit schwarzer
     Tinte gezeichnet. Der Mann ging eine Liste auf einem Klemmbrett durch.
    »Katharine J. Stanley«,
     sagte er, als er am Fuß der Treppe stehen blieb. Es war eine
     Feststellung, keine Frage.
    Ich nickte.
    »Detective Chief
     Inspector Francis Sinclair«, stellte sich der Fremde vor. Seine
     Stimme war klar, ein kühler Bariton, und seine Aussprache perfektes
     BBC-Englisch, mit nur einem Hauch von karibischem Puls und Brixtoner Aufsässigkeit.
     Er wandte sich wieder seinem Klemmbrett zu. »Sie führen derzeit
     hier im Globe die Regie bei ›Hamlet‹, und Sie haben die
     Leiche vor etwa zwanzig Minuten entdeckt, als Sie Ihre Papiere
     durchgingen.«
    »Ich habe Ros gefunden,
     ja.«
    Sinclair blätterte durch
     seine Unterlagen. »Die Verstorbene hat sie am Nachmittag aufgesucht.«
    »Ja, sie war hier«,
     sagte ich ausdruckslos. »Wir haben uns unterhalten. Ich dachte, sie
     wäre wegen Sir Henry gekommen. Ich wusste nicht, dass sie noch hier
     war.«
    Er blickte auf, und als er
     Sir Henry neben mir erkannte, weiteten sich seine Augen einen kurzen
     Moment. Dann wandte er sich wieder zu mir. »Haben Sie sie gut
     gekannt?«
    »Ja. Nein. Ich weiß
     nicht.« Ich schluckte. »Das heißt, früher einmal,
     ja. Aber ich habe sie drei Jahre nicht gesehen, bis heute Nachmittag. Was
     ist geschehen?«
    »Ihr Tod hatte nichts
     mit dem Brand zu tun. So viel wissen wir. Wahrscheinlich Herzinfarkt oder
     ein Schlaganfall. Es sieht so aus, als wäre sie sofort tot gewesen.
     Mit Sicherheit, bevor der Brand ausbrach. Ein ungewöhnlicher Zufall,
     und wir werden die Sache selbstverständlich untersuchen. Aber im
     Moment spricht alles für einen natürlichen Tod.« Er sah
     wieder in seine Notizen.
    Meine Finger schlossen sich
     um den Flachmann. »Das war kein Zufall.«
    Sir Henry und Cyril, die sich
     im Hintergrund unterhalten hatten, verstummten und starrten mich an.
     Sinclairs Stift hielt mitten im Satz inne, doch er blickte nicht auf.
     »Wie kommen Sie darauf?«
    »Sie kam zu mir, um mir
     zu sagen, dass sie etwas entdeckt hatte«, erklärte ich. »Und
     sie bat mich um Hilfe.«
    Sinclair sah mich an. »Was
     hat sie entdeckt?«
    Die Schachtel in meiner
     Jackentasche schien zum Leben zu erwachen. Ein Abenteuer, hatte Ros
     gesagt. Und ein Geheimnis.
    Er darf sie nicht haben,
     schoss es mir mit plötzlicher Heftigkeit durch den Kopf.
    Der Inspektor beugte sich zu
     mir. »Was hat sie entdeckt, Ms Stanley?«
    »Ich weiß es
     nicht.« Die Lüge rutschte einfach so heraus. Ich hoffte, er sah
     mir die Überraschung nicht an, und redete mir ein, dass ich nur die
     Gelegenheit wollte, Ros’ Geschenk zu öffnen, einen letzten
     Moment mit ihr allein zu haben. Aus Respekt vor ihrem Geheimnis. Dann,
     falls es irgendetwas von Bedeutung wäre, würde ich

Weitere Kostenlose Bücher