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Die Shakespeare-Morde

Die Shakespeare-Morde

Titel: Die Shakespeare-Morde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Lee Carrell
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doch
     von hier aus sah man, dass wir uns eigentlich im ersten Stock befanden,
     als wäre das Gebäude an einen Hügel gebaut.
    Unter uns, auf der linken
     Seite des Hofs, befand sich eine alte Pforte. Zu Shakespeares Zeiten, erklärte
     Mrs Quigley, hatte ein offenes Tor in den Hof geführt. Dort fuhren
     die Kutschen herein, um die adligen Gäste - und gelegentlich eine
     Schauspieltruppe - direkt vor dem offiziellen Eingang abzusetzen, der sich
     damals im Innenhof befand. Ein reizender kleiner Portikus, wie Mrs Quigley
     sagte, sogar mit Wasserspeiern, ungefähr unter der Stelle, an der wir
     standen.
    Durch diese Pforte war
     Shakespeare eingetreten, dachte ich. Er hatte unter uns im Hof auf dem
     Pflaster gestanden und zum Himmel hinaufgeblickt - ob es regnen würde?
     Irgendwo in diesen Mauern hatte er gegessen und Bier oder Wein getrunken,
     hatte mit einem hübschen braunäugigen Mädchen geschäkert,
     ein Briefchen geschrieben, auf der Wiese eine Blume gepflückt, in
     eine Pfütze gepinkelt, gewürfelt, geschlafen und vielleicht geträumt.
     Er hatte während der Vorstellung das Publikum beobachtet, mit dem
     gnadenlosen Auge des Regisseurs jede Bewegung, jeden verstohlenen,
     verliebten Blick registriert, die Tränen und das Luftholen, und - als
     Bestes von allem - das Gelächter. Der Nachhall seiner Gegenwart war
     etwas, das weder Athenaide noch die Folgers, noch der Globe Trust mit
     allem Geld der Welt nachahmen konnten. Er war hier gewesen.
    »›Das
     Shakespeare-Haus‹ haben sie das kleine Eingangsportal früher
     genannt«, erklärte Mrs Quigley. »Die Familienlegende
     will, dass die King’s Men es als Bühne benutzten. Heute kennt
     man es nur noch als Holbein-Portal.«
    »Es existiert noch?«
     Sir Henrys Stimme klang gierig.   
    »O ja. Mit viel Glück
     und Loyalität, kann man sagen. Während eines Umbaus im frühen
     19. Jahrhundert war das Portal abgetragen worden. Die Steine wurden
     sozusagen in alle Winde zerstreut. Doch es gab einen sturen alten
     Steinmetz, der sein Leben lang hier gearbeitet hatte, und er tat alles,
     damit sie nicht verloren gingen. Stein für Stein sammelte er im Park wieder
     ein, und dann baute er das Portal als Pavillon wieder auf. Seither steht
     es am Ende des kleinen Privatparks des Grafen. Nur die Inschrift ist
     leider spurlos verschwunden.«
    Weil sie uns nicht enttäuschen
     wollte, führte sie uns zurück in die Eingangshalle, wo sie vor
     dem lebensgroßen Gemälde eines Ritters stehen blieb. »Wenn
     Sie sich für Shakespeare interessieren, interessiert Sie sicher auch
     der vierte Graf Pembroke. Einer der beiden Unvergleichlichen Brüder,
     denen Shakespeares Gesamtausgabe gewidmet ist.« Der Graf auf dem Gemälde
     hatte helles schulterlanges Haar und blickte etwas höhnisch zu uns
     herab. Sein gelbbraunes Satingewand war von dezentem Luxus, wobei er eine
     gewisse Vorliebe für Spitze zu hegen schien. »Der Jüngere«,
     erklärte Mrs Quigley. »Philip Herbert. Der erste Graf von
     Montgomery, damals, als dieses Bild gemalt wurde. Er war mit einer Tochter
     des Grafen von Oxford verheiratet.«       
    Vero nihil verius, dachte
     ich. Nichts ist wahrer als die Wahrheit.
    »Später, als sein
     Bruder kinderlos starb, erbte er auch den Titel des Grafen von Pembroke,
     was ihn zum vierten Graf von Pembroke und ersten Graf von Montgomery
     machte. Seitdem sind die beiden Titel vereinigt.«
    Während Mrs Quigley ins
     Plaudern verfiel, sah ich mir die Statue genauer an. Weder der Graf noch
     das Shakespeare-Haus spielten eine Rolle. Shakespeare weist zur Wahrheit,
     so in etwa hatte es Ophelia ausgedrückt. Die Wahrheit musste also
     direkt vor meiner Nase liegen.
    Vier Worte der Inschrift
     waren in Großbuchstaben gemeißelt: ›LEBEN‹,
     ›SCHATTENBILD‹, ›SCHAUSPIELER‹, ›BÜHNE‹.
     War das von Bedeutung? Shakespeares Finger lag auf ›SCHATTENBILD‹
     … War das besser als ›Tempel‹ LEBEN, SCHATTENBILD, SCHAUSPIELER,
     BÜHNE.
    Mit gerunzelter Stirn
     betrachtete ich die marmornen Buchstaben. Dann trat ich näher heran.
     Das L von ›LEBEN‹ schien Spuren von Gold zu enthalten.
     »War die Statue früher bemalt?«, fragte ich.
    Mrs Quigley kam
     herbeigeflattert. »Nein, nicht die Statue«, sagte sie. »Zumindest
     nicht die ganze. Das hätte der schöne Marmor aus Carrara nicht
     verdient. Aber die Inschrift war bemalt. Vor ein paar Jahren hat es sich
     ein Restaurator näher angesehen. Ich habe irgendwo eine
    

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