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Die Shakespeare-Morde

Die Shakespeare-Morde

Titel: Die Shakespeare-Morde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Lee Carrell
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Medaillons und meterhohen Nymphen - hier war so viel
     Gold versammelt, als hätten die Pembrokes die sagenhaften Minen
     von Ophir geplündert. An allen vier Wänden hingen Porträts
     der Familie und ihrer Peers. Van Dyck hatte fast eine ganze Wand bestückt
     mit glorreichen Lordschaften in stolzen Posen, in Silber und dunkelroter
     Seide, goldbraunem Samt und mit langem seidigen Haar. »Der vierte
     Graf und seine Nachkommen«, erklärte Mrs Quigley.
    Von draußen war Applaus
     zu hören. Durchs Fenster sah ich in der Dämmerung eine muschelförmige
     Bühne, die sich zum Rasen öffnete. Dahinter blickten die
     Zuschauer zum Schloss herauf. Der Applaus verebbte.
    Mrs Quigley durchquerte den
     Saal, öffnete eine Flügeltür und führte uns in einen
     kleineren Raum. In der Mitte stand ein Tisch, der mit feinstem
     georgianischen Silber gedeckt war. Hier schien sich alles Gold in die Lüfte
     emporgeschwungen zu haben: Stilisierte Federn schmückten die weißen
     Wände, Adler schrien über den Türstöcken, und Putten
     mit plumpen Flügeln spähten mit kindlichen Zügen von ihren
     Wolken herab. Mrs Quigley zeigte zur Decke, wo Ikarus im freien Fall aus
     den Himmeln stürzte, während Dädalus, sein Vater, die Szene
     entsetzt mit ansah. Im gleichen Moment schallten die tragischen Klänge
     von Prokofjews ›Romeo und Julia‹ herein.
    Als die Musik wieder sanfter
     wurde, sagte Mrs Quigley: »Hier«, und zeigte unter das
     Fenster. »Ich habe mir die Bilder nie genauer angesehen, aber hier
     fangen die ›Arkadien‹-Szenen an.« Überwältigt
     von der Tragödie, die sich über mir an der Decke abspielte, und
     von all dem Luxus auf Augenhöhe hatte ich die kleinen rechteckigen
     Gemälde nicht bemerkt, die in Kniehöhe die Paneele schmückten.
     »Leider muss ich Sie bitten, sie sich mit der Taschenlampe anzusehen«,
     sagte Mrs Quigley entschuldigend und reichte uns eine Lampe. »Und
     bitte halten Sie das Licht nicht gegen die Fenster. Das Schloss ist die
     Kulisse für das Konzert und wurde dementsprechend beleuchtet.«
    Ben nahm die Taschenlampe und
     knipste sie an, während ich niederkniete und die Bilder betrachtete.
     Im Vordergrund zogen zwei Hirten einen jungen Mann aus dem Meer; im
     Hintergrund sank ein brennendes Schiff. Ich sah näher hin. Der Mast
     des Schiffes neigte sich. Breitbeinig saß ein zweiter junger Mann
     auf dem Mast, das Schwert gezogen, als würde
     er auf einem Pferd in die Schlacht reiten. Es war die Eröffnungsszene
     von ›Arkadien‹.
    Die Bilder schmückten
     die Paneele rund um den Saal, und in seinem Eifer hatte der Maler sogar
     die Ecken ausgemalt.
    Mit einer charmanten Mischung
     aus Neugier und Schmeichelei schaffte es Sir Henry, sich von Mrs Quigley
     zurück in den Prachtsaal führen zu lassen, wo er die Tür
     hinter sich schloss. Während über dem Schloss die Nacht
     hereinbrach, rutschte ich auf Knien durch den Saal und verfolgte, wie
     Damen in üppiger goldener Seide in Ohmacht sanken und Männer in
     silbernen Rüstungen aufeinanderprallten, mit entschlossenen oder
     erstaunten Blicken, oder beidem. Von draußen flutete Prokofjews
     Musik durch die Fenster und hüllte mich ein. Hin und wieder hörte
     ich Sir Henry und Mrs Quigley im Saal nebenan murmeln.
    Ich war mit der ersten Wand
     durch, und schließlich auch mit der zweiten, ohne etwas gefunden zu
     haben, das an König Lears Geschichte erinnerte. Vielleicht hatte der
     Maler die Szene weggelassen - es war nur ein Nebenstrang der Geschichte.
     Mit sinkendem Mut ließ ich die zweite Ecke hinter mir und begann mit
     der dritten Wand.   
    Kurz vor dem marmornen Kamin
     kroch ich unter einen Tisch und hielt inne. Die dunkle Leinwand zeigte
     einen alten Mann, der mit einem engelsgleichen Jüngling auf einer stürmischen
     Heide stand. Im Abseits befand sich ein weiterer Jüngling mit
     brutalen Gesichtszügen und wildem Blick, der das Geschehen vom
     Schatten eines Baumes aus beobachtete.
    »Ich glaube, ich habe
     es gefunden«, sagte ich.
    Doch was sollte ich damit
     anfangen?
    Shakespeare weist zur
     Wahrheit. In der Eingangshalle hatte Shakespeares Hand auf ›SCHATTENBILD‹
     gewiesen.
    Zögerlich berührte
     ich den Schatten, betastete vorsichtig seine Konturen, doch ich konnte
     nichts Ungewöhnliches entdecken.
    »Das Bild auf der
     anderen Seite des Kamins sieht fast genauso aus«, sagte Ben.
    Auf der Leinwand waren die
     gleichen Figuren zu sehen, doch hier waren die Mienen beinahe zu
    

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