Die Shakespeare-Morde
Medaillons und meterhohen Nymphen - hier war so viel
Gold versammelt, als hätten die Pembrokes die sagenhaften Minen
von Ophir geplündert. An allen vier Wänden hingen Porträts
der Familie und ihrer Peers. Van Dyck hatte fast eine ganze Wand bestückt
mit glorreichen Lordschaften in stolzen Posen, in Silber und dunkelroter
Seide, goldbraunem Samt und mit langem seidigen Haar. »Der vierte
Graf und seine Nachkommen«, erklärte Mrs Quigley.
Von draußen war Applaus
zu hören. Durchs Fenster sah ich in der Dämmerung eine muschelförmige
Bühne, die sich zum Rasen öffnete. Dahinter blickten die
Zuschauer zum Schloss herauf. Der Applaus verebbte.
Mrs Quigley durchquerte den
Saal, öffnete eine Flügeltür und führte uns in einen
kleineren Raum. In der Mitte stand ein Tisch, der mit feinstem
georgianischen Silber gedeckt war. Hier schien sich alles Gold in die Lüfte
emporgeschwungen zu haben: Stilisierte Federn schmückten die weißen
Wände, Adler schrien über den Türstöcken, und Putten
mit plumpen Flügeln spähten mit kindlichen Zügen von ihren
Wolken herab. Mrs Quigley zeigte zur Decke, wo Ikarus im freien Fall aus
den Himmeln stürzte, während Dädalus, sein Vater, die Szene
entsetzt mit ansah. Im gleichen Moment schallten die tragischen Klänge
von Prokofjews ›Romeo und Julia‹ herein.
Als die Musik wieder sanfter
wurde, sagte Mrs Quigley: »Hier«, und zeigte unter das
Fenster. »Ich habe mir die Bilder nie genauer angesehen, aber hier
fangen die ›Arkadien‹-Szenen an.« Überwältigt
von der Tragödie, die sich über mir an der Decke abspielte, und
von all dem Luxus auf Augenhöhe hatte ich die kleinen rechteckigen
Gemälde nicht bemerkt, die in Kniehöhe die Paneele schmückten.
»Leider muss ich Sie bitten, sie sich mit der Taschenlampe anzusehen«,
sagte Mrs Quigley entschuldigend und reichte uns eine Lampe. »Und
bitte halten Sie das Licht nicht gegen die Fenster. Das Schloss ist die
Kulisse für das Konzert und wurde dementsprechend beleuchtet.«
Ben nahm die Taschenlampe und
knipste sie an, während ich niederkniete und die Bilder betrachtete.
Im Vordergrund zogen zwei Hirten einen jungen Mann aus dem Meer; im
Hintergrund sank ein brennendes Schiff. Ich sah näher hin. Der Mast
des Schiffes neigte sich. Breitbeinig saß ein zweiter junger Mann
auf dem Mast, das Schwert gezogen, als würde
er auf einem Pferd in die Schlacht reiten. Es war die Eröffnungsszene
von ›Arkadien‹.
Die Bilder schmückten
die Paneele rund um den Saal, und in seinem Eifer hatte der Maler sogar
die Ecken ausgemalt.
Mit einer charmanten Mischung
aus Neugier und Schmeichelei schaffte es Sir Henry, sich von Mrs Quigley
zurück in den Prachtsaal führen zu lassen, wo er die Tür
hinter sich schloss. Während über dem Schloss die Nacht
hereinbrach, rutschte ich auf Knien durch den Saal und verfolgte, wie
Damen in üppiger goldener Seide in Ohmacht sanken und Männer in
silbernen Rüstungen aufeinanderprallten, mit entschlossenen oder
erstaunten Blicken, oder beidem. Von draußen flutete Prokofjews
Musik durch die Fenster und hüllte mich ein. Hin und wieder hörte
ich Sir Henry und Mrs Quigley im Saal nebenan murmeln.
Ich war mit der ersten Wand
durch, und schließlich auch mit der zweiten, ohne etwas gefunden zu
haben, das an König Lears Geschichte erinnerte. Vielleicht hatte der
Maler die Szene weggelassen - es war nur ein Nebenstrang der Geschichte.
Mit sinkendem Mut ließ ich die zweite Ecke hinter mir und begann mit
der dritten Wand.
Kurz vor dem marmornen Kamin
kroch ich unter einen Tisch und hielt inne. Die dunkle Leinwand zeigte
einen alten Mann, der mit einem engelsgleichen Jüngling auf einer stürmischen
Heide stand. Im Abseits befand sich ein weiterer Jüngling mit
brutalen Gesichtszügen und wildem Blick, der das Geschehen vom
Schatten eines Baumes aus beobachtete.
»Ich glaube, ich habe
es gefunden«, sagte ich.
Doch was sollte ich damit
anfangen?
Shakespeare weist zur
Wahrheit. In der Eingangshalle hatte Shakespeares Hand auf ›SCHATTENBILD‹
gewiesen.
Zögerlich berührte
ich den Schatten, betastete vorsichtig seine Konturen, doch ich konnte
nichts Ungewöhnliches entdecken.
»Das Bild auf der
anderen Seite des Kamins sieht fast genauso aus«, sagte Ben.
Auf der Leinwand waren die
gleichen Figuren zu sehen, doch hier waren die Mienen beinahe zu
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