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Die Shakespeare-Morde

Die Shakespeare-Morde

Titel: Die Shakespeare-Morde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Lee Carrell
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auf chiffrieren beziehen. Und falls es die
     Chiffre war, die mit dem Jahr 1623 zu tun hatte, dann musste das Buch
     nicht von 1623 sein - nicht unbedingt. Das fragliche Buch musste keine
     First Folio Edition sein.          
    »Gibt es eine Chiffre
     aus dem Jahr 1623?«, fragte Matthew, der mir über die Schulter
     sah.
    »In dem Jahr hat Bacon
     sein ›De dignitate et augmentis scientiarum‹ veröffentlicht.
     Die lateinische Ausgabe von ›Über die Würde und den
     Fortgang der Wissenschaftern.«
    Matthews Augen wurden groß.
     »Bacons Chiffre«, sagte er.
    »Sir Francis Bacon?«,
     fragte Athenaide scharf.
    Ich nickte. Derselbe Francis
     Bacon, den Delia und andere so gerne als den Mann hinter Shakespeares
     Maske gesehen hätten - derselbe Mann, den ich als den Keiler der
     Schimäre identifiziert hatte. Im ›Fortgang der Wissenschaftern
     entwarf er ein System zur Klassifizierung, dem Studium und der
     Beherrschung des gesamten menschlichen Wissens. Und in der lateinischen
     Ausgabe von 1623, die länger war als das Original, präsentierte
     er einen ganzen Abschnitt über Chiffren und Codes - zu denén
     auch eine Chiffre gehörte, die Bacon selbst erfunden hatte.
    Meine Stimme überschlug
     sich. »Hatte Granville eine Ausgabe des »Fortgangs der
     Wissenschaftern?«
    »Nein«, sagte
     Athenaide bestimmt.
    »Oder sonst etwas von
     Bacon?«
    »Nur die Essays.«
     Wieder ging sie an den Tresor und nahm ein dünneres Buch heraus. Ich
     blätterte es hastig durch. Um Bacons Chiffre in einem gedruckten Buch
     zu verwenden, musste Jem einzelne Buchstaben gekennzeichnet haben. Er
     musste in das Buch hineingeschrieben haben.
    Doch in den Essays gab es
     keine Markierungen.
    Ich kreiste um den Tisch.
     »Besaß er sonst irgendetwas aus der Renaissance?«
    »Kommen Sie und schauen
     Sie selbst.« Athenaide holte stapelweise Bücher aus dem Tresor,
     die wir zum Tisch trugen und systematisch durchblätterten. Jem
     Granville war ein Windhund und ein Halunke gewesen, doch gleichzeitig war
     er höchst belesen für seine Zeit. Seine Sammlung enthielt Bände
     von Tennyson und Browning, Dickens und Trollope, Darwin, Mill und
     Macaulay. Allerdings nichts aus der Renaissance. Oder sonst etwas, das bis
     auf seinen Namen auf den Titelblättern irgendeine auffällige
     Markierung aufwies. Anders als Ros hatte Jem Granville nicht die
     Angewohnheit, in seine Bücher hineinzukritzeln.
    Als wir Walter Paters
     ›Die Renaissance‹ aufschlugen, schöpfte ich Hoffnung,
     doch auch dieses Buch war sauber. »Es muss noch etwas da gewesen
     sein«, sagte ich frustriert, als ich die letzte Seite erreichte. Ich
     sah Athenaide an. »Haben Sie wirklich alle seine Bücher
     gekauft?« 
    »Alle, von denen Mrs
     Jiménez wusste, dass sie Granville gehörten.«
    Was, wenn er das fragliche
     Buch nicht signiert hatte? Was, wenn es jemand verloren hatte? Verschenkt?
     Zerlesen oder der Kirche gestiftet, auf dem Flohmarkt verkauft? Es
     konnte überall sein. Ich beugte mich über den Tisch. »Fragen
     Sie sie.«
    »Es ist vier Uhr
     morgens, Katharine … Drüben in Arizona ist es drei.«
    »Die Leute sind
     Rancher. Sie sind bestimmt schon auf den Beinen. Oder so gut wie.«
    Athenaide kramte ihr Handy
     aus der Tasche. Sie trank einen großen Schluck Wein, dann wählte
     sie. Jemand antwortete. »Ja … nein.« Athenaides Augen
     leuchteten. »Einen Moment…« Sie hielt den Hörer zu
     und sagte: »Ein Buch. Die Familienbibel.«
    Das Blut in meinen Adern
     begann zu rauschen. »Welche Bibel?«
    »Sie weiß es
     nicht. Eine alte.«
    »Sagen Sie ihr, sie
     soll nachsehen.«
    Während Mrs Jiménez
     auf der Ranch in Arizona nachsehen ging, stützte ich mich mit
     angehaltenem Atem auf den Tisch und blickte hinauf zu Ophelias blinden
     Augen über dem Kamin.
    »Die Titelseite«,
     sagte Athenaide, »da steht: ›Gedruckt im Jahre des Herrn 1611
     und weithin bekannt als die King-James-Bibel‹.«
    Ich musste mich am Tisch
     festhalten, um nicht umzukippen.
    Matthews Augen leuchteten.
     »Das jakobäische Magnum opus.«
    Das war es. Das musste es
     sein. Buchstäblich, denn King James war Jakob I. Und ein altes
     Sprichwort besagte, dass die King-James-Bibel das einzige Meisterwerk sei,
     das von einem Komitee verfasst worden war. Als eine seiner ersten
     Amtshandlungen nach der Thronbesteigung hatte König Jakob seine Bischöfe
     beauftragt, etwas gegen den vom ihm beklagten erbärmlichen Zustand
     der englischen Bibel zu tun.

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