Die Shakespeare-Morde
schon? Sie wusste,
dass Sie eines Tages Gebiete betreten würden, auf die sie sich selbst
nie gewagt hätte. Wahrscheinlich hat sie Sie genau aus diesem Grund
aus dem Elfenbeinturm hinaus in die Welt geschickt.«
»Sie meinen, Ros
wollte, dass ich im Theater lande?« Ich lachte bitter. »Das hätte
sie mir auch anders sagen können.«
Athenaide legte den Kopf
schief. »Hätten Sie auf sie gehört?«
Ich wollte etwas sagen, doch
dann schwieg ich. Wahrscheinlich hätte ich Ros unterstellt, sie
wollte meine akademische Karriere sabotieren.
Eine Gegensprechanlage summte
diskret, und Athenaide griff nach dem Hörer. In einer Stunde landeten
wir. Sie schickte mich in eine der Schlafkabinen, um mich frisch zu
machen.
»Frisch machen«
war die Mutter aller Untertreibungen. Was ich nötig hatte, war eine
Kernsanierung. Meine Augen waren rot und geschwollen; auf der Wange hatte
ich eine blaue Beule mit einem tiefen Kratzer. Vom Regen war mir die
Haarfarbe in dunklen Zebrastreifen in den Nacken und auf die Jacke
gelaufen, die aussah, als hätte man sie drei Wochen lang verknäuelt
ganz unten im Wäschekorb liegen lassen.
Doch der Koffer, den Sir
Henry für mich gepackt hatte - es schien Jahre her - und der mir von
London nach Boston und Utah, nach New Mexico und Washington und schließlich
nach Stratford gefolgt war, stand am Ende des Betts, und im Bad gab es
eine richtige Dusche. Ich bedachte den Koffer mit einem bösen Blick.
Dass er mir half, mich besser zu fühlen, war der erste kleine Schritt
der Wiedergutmachungen, die Sir Henry mir schuldete.
Unter der Dusche sah ich zu,
wie die Haarfarbe wirbelnd im Abfluss verschwand. Stimmte es, dass Ros,
wie Athenaide andeutete, mich bewusst aus dem Universitätsbetrieb
verscheuchen wollte? Wenn ja, hatte sie Erfolg gehabt. Doch als Mentorin hätte
sie mir auch Brücken bauen können, anstatt die, die hinter mir
lagen, abzubrennen.
Andererseits hatten sich während
meiner Flucht vor Ros und allem, für das sie stand, mehrmals
scheinbar aus dem Nichts Brücken vor mir aufgetan. Vor sechs Monaten
erschien Sir Henry genau zur richtigen Zeit, um mir den Job im Westend zu
besorgen, und dann den im Globe. Und Ähnliches war mir schon vorher
passiert - Wendepunkte in meiner jungen Karriere, die ich meinem
unglaublichen Glück zugeschrieben hatte, zur richtigen Zeit am
richtigen Ort zu sein.
Ich war so stolz gewesen,
meinen eigenen Weg zu gehen, auch wenn ich mich über das Glück
wunderte, das mir in den Schoß fiel, als würde es Rosen regnen.
Hatte Ros mir die ganze Zeit im Stillen geholfen? Ich würde es nie
erfahren.
Ich zog eine Jeans an, ein
schwarzes T-Shirt und Turnschuhe und sah mich noch einmal im Spiegel an.
Mein Haar war zwar kurz, aber wenigstens war es wieder rot. Meine Wange
war immer noch blau, aber sie war sauber. Ganz unten im Koffer fand ich
die Kette, die ich an der Grenze von Arizona gekauft hatte. Ich fädelte
die Brosche auf, hängte sie mir um den Hals und ging hinaus in die
Hauptkabine.
Matthew war aufgewacht und
trank Kaffee. Zu dritt setzten wir uns an den Konferenztisch und gingen
durch, was wir wussten.
»Sie steckten alle
unter einer Decke«, sagte Matthew. »Die Grafen von Derby und
Oxford, Gräfin Pembroke, Sir Francis Bacon und Shakespeare aus
Stratford.«
»Ja«, sagte ich.
Ich lehnte mich zurück und rieb mir die Augen. »Aber wie?«
Jem Granville wusste es,
dachte ich. Wenn wir Glück hatten, würden wir bis zum Morgen
seine Schatzkarte finden, mit einem großen X an der richtigen
Stelle. Als ich aus dem Fenster sah, blinkten mehrere Reihen
Markierungslichter unter uns. Die Landebahnbeleuchtung.
Gegen drei Uhr morgens
landeten wir in Lordsburg, New Mexico. Über den Bergen zuckten
Blitze. Die Regenzeit setzte in diesem Jahr früh ein. Graciela
erwartete uns. Ein paar Minuten später fuhren wir an den schäbigen
Hütten von Shakespeare vorbei in Athenaides Garage - ein altes
Schwarzpulverlager in einer Höhle im Hang. Kurz darauf folgten wir
Athenaides eiligem Schritt durch das Labyrinth von Helsingor.
Warmes goldenes Licht empfing
uns, als wir in den Rittersaal traten. »Letztes Mal haben Sie
erraten, dass diese Halle nicht zu Helsingor gehört«, sagte
Athenaide. »Erkennen Sie sie jetzt?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Es ist die Kopie -
eine sehr genaue - des Bankettsaals im normannischen Turm von Schloss
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