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Die Shakespeare-Morde

Die Shakespeare-Morde

Titel: Die Shakespeare-Morde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Lee Carrell
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schon? Sie wusste,
     dass Sie eines Tages Gebiete betreten würden, auf die sie sich selbst
     nie gewagt hätte. Wahrscheinlich hat sie Sie genau aus diesem Grund
     aus dem Elfenbeinturm hinaus in die Welt geschickt.«
    »Sie meinen, Ros
     wollte, dass ich im Theater lande?« Ich lachte bitter. »Das hätte
     sie mir auch anders sagen können.«
    Athenaide legte den Kopf
     schief. »Hätten Sie auf sie gehört?«
    Ich wollte etwas sagen, doch
     dann schwieg ich. Wahrscheinlich hätte ich Ros unterstellt, sie
     wollte meine akademische Karriere sabotieren.
    Eine Gegensprechanlage summte
     diskret, und Athenaide griff nach dem Hörer. In einer Stunde landeten
     wir. Sie schickte mich in eine der Schlafkabinen, um mich frisch zu
     machen.
    »Frisch machen«
     war die Mutter aller Untertreibungen. Was ich nötig hatte, war eine
     Kernsanierung. Meine Augen waren rot und geschwollen; auf der Wange hatte
     ich eine blaue Beule mit einem tiefen Kratzer. Vom Regen war mir die
     Haarfarbe in dunklen Zebrastreifen in den Nacken und auf die Jacke
     gelaufen, die aussah, als hätte man sie drei Wochen lang verknäuelt
     ganz unten im Wäschekorb liegen lassen.
    Doch der Koffer, den Sir
     Henry für mich gepackt hatte - es schien Jahre her - und der mir von
     London nach Boston und Utah, nach New Mexico und Washington und schließlich
     nach Stratford gefolgt war, stand am Ende des Betts, und im Bad gab es
     eine richtige Dusche. Ich bedachte den Koffer mit einem bösen Blick.
     Dass er mir half, mich besser zu fühlen, war der erste kleine Schritt
     der Wiedergutmachungen, die Sir Henry mir schuldete.
    Unter der Dusche sah ich zu,
     wie die Haarfarbe wirbelnd im Abfluss verschwand. Stimmte es, dass Ros,
     wie Athenaide andeutete, mich bewusst aus dem Universitätsbetrieb
     verscheuchen wollte? Wenn ja, hatte sie Erfolg gehabt. Doch als Mentorin hätte
     sie mir auch Brücken bauen können, anstatt die, die hinter mir
     lagen, abzubrennen.
    Andererseits hatten sich während
     meiner Flucht vor Ros und allem, für das sie stand, mehrmals
     scheinbar aus dem Nichts Brücken vor mir aufgetan. Vor sechs Monaten
     erschien Sir Henry genau zur richtigen Zeit, um mir den Job im Westend zu
     besorgen, und dann den im Globe. Und Ähnliches war mir schon vorher
     passiert - Wendepunkte in meiner jungen Karriere, die ich meinem
     unglaublichen Glück zugeschrieben hatte, zur richtigen Zeit am
     richtigen Ort zu sein.
    Ich war so stolz gewesen,
     meinen eigenen Weg zu gehen, auch wenn ich mich über das Glück
     wunderte, das mir in den Schoß fiel, als würde es Rosen regnen.
     Hatte Ros mir die ganze Zeit im Stillen geholfen? Ich würde es nie
     erfahren.
    Ich zog eine Jeans an, ein
     schwarzes T-Shirt und Turnschuhe und sah mich noch einmal im Spiegel an.
     Mein Haar war zwar kurz, aber wenigstens war es wieder rot. Meine Wange
     war immer noch blau, aber sie war sauber. Ganz unten im Koffer fand ich
     die Kette, die ich an der Grenze von Arizona gekauft hatte. Ich fädelte
     die Brosche auf, hängte sie mir um den Hals und ging hinaus in die
     Hauptkabine.
    Matthew war aufgewacht und
     trank Kaffee. Zu dritt setzten wir uns an den Konferenztisch und gingen
     durch, was wir wussten.
    »Sie steckten alle
     unter einer Decke«, sagte Matthew. »Die Grafen von Derby und
     Oxford, Gräfin Pembroke, Sir Francis Bacon und Shakespeare aus
     Stratford.«
    »Ja«, sagte ich.
     Ich lehnte mich zurück und rieb mir die Augen. »Aber wie?«
    Jem Granville wusste es,
     dachte ich. Wenn wir Glück hatten, würden wir bis zum Morgen
     seine Schatzkarte finden, mit einem großen X an der richtigen
     Stelle. Als ich aus dem Fenster sah, blinkten mehrere Reihen
     Markierungslichter unter uns. Die Landebahnbeleuchtung.
    Gegen drei Uhr morgens
     landeten wir in Lordsburg, New Mexico. Über den Bergen zuckten
     Blitze. Die Regenzeit setzte in diesem Jahr früh ein. Graciela
     erwartete uns. Ein paar Minuten später fuhren wir an den schäbigen
     Hütten von Shakespeare vorbei in Athenaides Garage - ein altes
     Schwarzpulverlager in einer Höhle im Hang. Kurz darauf folgten wir
     Athenaides eiligem Schritt durch das Labyrinth von Helsingor.
    Warmes goldenes Licht empfing
     uns, als wir in den Rittersaal traten. »Letztes Mal haben Sie
     erraten, dass diese Halle nicht zu Helsingor gehört«, sagte
     Athenaide. »Erkennen Sie sie jetzt?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Es ist die Kopie -
     eine sehr genaue - des Bankettsaals im normannischen Turm von Schloss
    

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