Die Shakespeare-Morde
erstarrte. Ich sah nach rechts. Ein Wandteppich. Es gab kein anderes
Versteck; ich schlüpfte dahinter. In der Dunkelheit hoffte ich, dass
er mich genügend verbarg.
Schritte näherten sich
von der Mitte des Saals.
Der Schein der Lampe glitt
über den Teppich und verschwand. Ich spitzte die Ohren, doch ich
konnte nichts hören.
Die Klinge drang direkt neben
meiner Schulter durch den Teppich. Ich wich aus, aber das Messer stieß
wieder zu und streifte meinen Arm. Ich bückte mich, strampelte, und
plötzlich krachte die Vorhangstange herunter und begrub mich und den
Angreifer unter sich.
Er packte mich durch den
Brokat. Ich trat zu, doch seine Hände legten sich um meinen Hals und
würgten mich. Blind schlug ich um mich. Ich spürte, wie ich in
einer Welle der Finsternis zu versinken drohte; helle Punkte explodierten
vor meinen Augen. Ich kämpfte darum, bei Bewusstsein zu bleiben. Ich
würde nicht zulassen, dass er mich in Lavinia verwandelte. Niemals.
Mit der Hand stieß ich gegen etwas Hartes. Das Messer.
Ich tastete nach dem Griff,
dann packte ich es und stieß mit aller Kraft zu. Ich spürte,
wie die Schneide bis zum Schaft versank. Er ließ nicht los. Ich stieß
wieder zu. Dann hörte ich ein Grunzen, und er sank schwer gegen mich.
Ich rollte ihn zur Seite und
kämpfte mich aus dem Teppich. Mondlicht schimmerte am Boden wie Eis.
Das Messer in meiner Hand war glitschig von Blut. Immer mehr Blut strömte
aus dem Hemd des Mannes zu meinen Füßen.
Hinter mir hörte ich
Schritte. Mit erhobenem Messer drehte ich mich um.
Es war Matthew, der immer
noch das Telefon in der Hand hielt. »Ich konnte nicht - Lieber
Himmel.«
Ich wich zurück.
»Ich bin es, Kate.
Alles ist gut.«
Ich begann zu zittern.
Matthew kam zu mir, nahm mir
das Messer aus der Hand und schloss mich in die Arme. »Was ist
passiert?«
»Er hat versucht, mich
umzubringen.« Ich zeigte auf den Körper am Boden.
Matthew bückte sich und
zog den Teppich zurück. Ich sah eine graue Strähne.
Sir Henry.
Ich stolperte rückwärts.
Matthew kniete sich hin und
suchte nach seinem Puls. Dann sah er auf und schüttelte den Kopf.
»Warst du hinter dem Teppich?«
Ich nickte.
»Polonius«, sagte
er. Der Kämmerer des Königs, den Hamlet hinter einem Arazzo
ersticht.
Ich hörte kaum zu. Ich
hatte einen Menschen getötet. Ich hatte Sir Henry getötet.
»Athenaide?«,
fragte Matthew.
Ich sah ihn mit geweiteten
Augen an. »Gertrude«, flüsterte ich.
Er stand auf und ging eilig
zurück zu Athenaide. Doch sie war verschwunden.
»Kate!« Das Brüllen
hallte durch den Saal.
Wir erstarrten. Es war Ben.
»Wo zum Teufel ist er?«,
zischte Matthew.
Ben rief noch einmal, und es
klang, als würde das Gemäuer selbst nach mir rufen. Er musste in
einem der Tunnel hinter den Mauern stecken, was bedeutete, dass er überall
sein konnte. Und er konnte überall auftauchen, aus jeder Wand, aus
jeder Tür.
»Hol das Telefon«,
sagte ich. Ich nahm Ophelias Tagebuch vom Tisch und lief zur Tür.
Matthew folgte mir. Wir rannten durch den Korridor in den hinteren Teil
des Gebäudes, wachsam bei jeder offenen Tür, jedem Schatten, der
sich bewegte. Schließlich kamen wir an einen flatternden Vorhang,
der Helsingor mit einer Art Westernsaloon verband. Matthew trat vor und
riss den Vorhang zurück. In der Bar war alles ruhig.
Ich folgte ihm. Draußen
stand ein Wagen mit laufendem Motor, doch es war keine Menschenseele zu
sehen. Als ich um die Haube herum zur Fahrerseite ging, blieb ich wie
versteinert stehen. Neben der Fahrertür lag Graciela im Staub. Ihre
Kehle war durchgeschnitten.
Im nächsten Moment war
Matthew bei mir. Er zog Graciela vom Wagen fort und stieg auf den
Fahrersitz. Ich folgte ihm und zwang ihn, auf den Beifahrersitz
weiterzurutschen. Dann legte ich den Gang ein und trat aufs Gas. Die
Reifen drehten durch, der Kies spritzte auf, und wir schossen in die
Dunkelheit. Das Tor auf dem Hügel war offen. Rumpelnd fuhren wir
hinaus.
Dann hörte ich die
Sirenen. Ich verließ die Straße und fuhr hinter ein
Mesquite-Gebüsch auf der anderen Seite der Kuppe. Ich schaltete den
Motor und die Scheinwerfer aus. Es war kein gutes Versteck, doch es war
das beste, das die karge Landschaft hergab. Am Himmel zeigten sich bereits
die ersten Streifen der Morgendämmerung; falls jemand genau hinsah, würden
sie uns
Weitere Kostenlose Bücher