Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Shakespeare-Morde

Die Shakespeare-Morde

Titel: Die Shakespeare-Morde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Lee Carrell
Vom Netzwerk:
erstarrte. Ich sah nach rechts. Ein Wandteppich. Es gab kein anderes
     Versteck; ich schlüpfte dahinter. In der Dunkelheit hoffte ich, dass
     er mich genügend verbarg.
    Schritte näherten sich
     von der Mitte des Saals.
    Der Schein der Lampe glitt
     über den Teppich und verschwand. Ich spitzte die Ohren, doch ich
     konnte nichts hören.
    Die Klinge drang direkt neben
     meiner Schulter durch den Teppich. Ich wich aus, aber das Messer stieß
     wieder zu und streifte meinen Arm. Ich bückte mich, strampelte, und
     plötzlich krachte die Vorhangstange herunter und begrub mich und den
     Angreifer unter sich.
    Er packte mich durch den
     Brokat. Ich trat zu, doch seine Hände legten sich um meinen Hals und
     würgten mich. Blind schlug ich um mich. Ich spürte, wie ich in
     einer Welle der Finsternis zu versinken drohte; helle Punkte explodierten
     vor meinen Augen. Ich kämpfte darum, bei Bewusstsein zu bleiben. Ich
     würde nicht zulassen, dass er mich in Lavinia verwandelte. Niemals.
     Mit der Hand stieß ich gegen etwas Hartes. Das Messer.
    Ich tastete nach dem Griff,
     dann packte ich es und stieß mit aller Kraft zu. Ich spürte,
     wie die Schneide bis zum Schaft versank. Er ließ nicht los. Ich stieß
     wieder zu. Dann hörte ich ein Grunzen, und er sank schwer gegen mich.
    Ich rollte ihn zur Seite und
     kämpfte mich aus dem Teppich. Mondlicht schimmerte am Boden wie Eis.
     Das Messer in meiner Hand war glitschig von Blut. Immer mehr Blut strömte
     aus dem Hemd des Mannes zu meinen Füßen.
    Hinter mir hörte ich
     Schritte. Mit erhobenem Messer drehte ich mich um.
    Es war Matthew, der immer
     noch das Telefon in der Hand hielt. »Ich konnte nicht - Lieber
     Himmel.«
    Ich wich zurück.
    »Ich bin es, Kate.
     Alles ist gut.«
    Ich begann zu zittern.
    Matthew kam zu mir, nahm mir
     das Messer aus der Hand und schloss mich in die Arme. »Was ist
     passiert?«          
    »Er hat versucht, mich
     umzubringen.« Ich zeigte auf den Körper am Boden.
    Matthew bückte sich und
     zog den Teppich zurück. Ich sah eine graue Strähne.
    Sir Henry.
    Ich stolperte rückwärts.
    Matthew kniete sich hin und
     suchte nach seinem Puls. Dann sah er auf und schüttelte den Kopf.
     »Warst du hinter dem Teppich?«
    Ich nickte.
    »Polonius«, sagte
     er. Der Kämmerer des Königs, den Hamlet hinter einem Arazzo
     ersticht.
    Ich hörte kaum zu. Ich
     hatte einen Menschen getötet. Ich hatte Sir Henry getötet.
    »Athenaide?«,
     fragte Matthew.
    Ich sah ihn mit geweiteten
     Augen an. »Gertrude«, flüsterte ich.
    Er stand auf und ging eilig
     zurück zu Athenaide. Doch sie war verschwunden.
    »Kate!« Das Brüllen
     hallte durch den Saal.
    Wir erstarrten. Es war Ben.
    »Wo zum Teufel ist er?«,
     zischte Matthew.
    Ben rief noch einmal, und es
     klang, als würde das Gemäuer selbst nach mir rufen. Er musste in
     einem der Tunnel hinter den Mauern stecken, was bedeutete, dass er überall
     sein konnte. Und er konnte überall auftauchen, aus jeder Wand, aus
     jeder Tür.
    »Hol das Telefon«,
     sagte ich. Ich nahm Ophelias Tagebuch vom Tisch und lief zur Tür.
     Matthew folgte mir. Wir rannten durch den Korridor in den hinteren Teil
     des Gebäudes, wachsam bei jeder offenen Tür, jedem Schatten, der
     sich bewegte. Schließlich kamen wir an einen flatternden Vorhang,
     der Helsingor mit einer Art Westernsaloon verband. Matthew trat vor und
     riss den Vorhang zurück. In der Bar war alles ruhig.
    Ich folgte ihm. Draußen
     stand ein Wagen mit laufendem Motor, doch es war keine Menschenseele zu
     sehen. Als ich um die Haube herum zur Fahrerseite ging, blieb ich wie
     versteinert stehen. Neben der Fahrertür lag Graciela im Staub. Ihre
     Kehle war durchgeschnitten.
    Im nächsten Moment war
     Matthew bei mir. Er zog Graciela vom Wagen fort und stieg auf den
     Fahrersitz. Ich folgte ihm und zwang ihn, auf den Beifahrersitz
     weiterzurutschen. Dann legte ich den Gang ein und trat aufs Gas. Die
     Reifen drehten durch, der Kies spritzte auf, und wir schossen in die
     Dunkelheit. Das Tor auf dem Hügel war offen. Rumpelnd fuhren wir
     hinaus.
    Dann hörte ich die
     Sirenen. Ich verließ die Straße und fuhr hinter ein
     Mesquite-Gebüsch auf der anderen Seite der Kuppe. Ich schaltete den
     Motor und die Scheinwerfer aus. Es war kein gutes Versteck, doch es war
     das beste, das die karge Landschaft hergab. Am Himmel zeigten sich bereits
     die ersten Streifen der Morgendämmerung; falls jemand genau hinsah, würden
     sie uns

Weitere Kostenlose Bücher