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Die Shakespeare-Morde

Die Shakespeare-Morde

Titel: Die Shakespeare-Morde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Lee Carrell
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zurück.
     »Weiter drinnen wird es etwas breiter. Nicht viel. Gerade so, dass
     man sich durchquetschen kann. Aber wir brauchen Licht.«
    Ich beugte mich hinunter. Das
     Tageslicht drang nur ein kurzes Stück in die Erde; dahinter war
     vollkommene Dunkelheit. Doch still war es nicht. Im Hintergrund konnte ich
     das Fiepen der Fledermäuse hören.
    »Habt ihr schon mal
     eine Höhle erforscht?«, fragte Mr Jiménez.
    »Ich schon«,
     sagte ich.
    Er sah mich fest an. »Sind
     Sie sicher, dass Sie das tun wollen?«
    Und die Erde war wüst
     und leer, und es war finster auf der Tiefe. Als Teenager in den ersten paar Sommern
     bei Tante Helen war ich mit den Jungs von der Nachbarranch in die Höhlen
     in der Nähe geklettert. Nicht weil ich sonderlich scharf darauf war,
     sondern weil sie mich sonst ausgelacht hätten. Ich machte so lange
     mit, bis ich mir ihren Respekt verdient hatte, dann hörte ich auf.
     Ich hatte ein paar Grundsätze über das Höhlenklettern
     gelernt, aber mehr auch nicht. Außerdem waren die Höhlen, in
     denen wir uns als Kinder herumtrieben, zwar nicht offiziell erschlossen,
     doch seit einem halben Jahrhundert von mutigen Teenagern aus drei
     angrenzenden Countys erforscht. In einer vollkommen jungfräulichen Höhle
     wie dieser hatte ich nichts zu suchen.
    Andererseits konnten wir es
     uns nicht leisten zu warten. Ben würde auch nicht warten.
    Langsam nickte ich.
    »Wenn sie reingeht,
     gehe ich auch«, sagte Matthew.
    »Das musst du nicht.«
    »Du bist verrückt,
     wenn du denkst, ich würde dich allein gehen lassen.«
    Vielleicht hätte ich
     protestieren sollen. Aber die erste Regel beim Höhlenklettern war:
     Geh nie allein.
    Mr Jiménez ging zu
     seinem Maultier zurück, und diesmal kam er mit zwei alten, verbeulten
     Helmen wieder. Die Dinger mit den Lampen dran. »Haben unseren Jungs
     gehört«, sagte er. »Nola meinte, ihr könnt sie
     vielleicht gebrauchen. Altes Gerät, aber es sind neue Batterien drin.«
    »Das sind nur zwei«,
     sagte ich.
    Mr Jiménez schnallte
     den Spaten wieder am Sattel fest. »Ich komme nicht mit. Nicht meine
     Vorstellung von Freizeitvergnügen, freiwillig in die Grube zu
     steigen. Aber ich lass euch das Funkgerät hier. Wenn ihr rauskommt,
     funkt ihr mich an, dann komme ich und hole euch ab.« Er zeigte mir,
     wie man das Walkie-Talkie benutzte, und wir fanden ein sicheres Versteck
     zwischen zwei Felsen, wo wir es zurückließen. Dann stieg er auf
     und ritt mit den drei Maultieren davon.
    Ein letztes Mal saugte ich
     die Sonne und den Wind auf, mit jedem Quadratzentimeter meiner Haut und
     Kleidung; es würde eine Weile dauern, bis ich wieder Tageslicht zu
     Gesicht bekäme. Ich suchte die Gegend ab, doch ich sah nichts als
     das Spiel des Windes im bleichen Gras und weit oben den Adler, der seine
     Kreise zog. »Er ist irgendwo da draußen«, sagte ich.
     »Ben. Und er ist auf dem Weg hierher.«
    Ros hat ihren Namen geändert,
     hatte er in der Bibliothek geflüstert. Vielleicht sollten wir auch
     deinen ändern. In Lavinia. Trotz der Sonne fröstelte ich.
    »Hey.« Matthew
     legte den Arm um mich und zog mich an sich. »Da muss er erst mal an
     mir vorbei.«
    Hinter Matthew klaffte die Höhle
     wie ein schwarzes Loch im hellen Stoff des Morgens. Lavinias Liebhaber war
     vor ihren Augen ermordet und in eine Grube in der Wildnis geworfen worden.
     Die verfluchte dunkle Gruft des Mords, hatte Shakespeare geschrieben. Kurz
     danach wurde sie …
    Ich vertrieb den Gedanken und
     lächelte Matthew unsicher an. »Danke.«
    »Auf Shakespeare«,
     sagte er, und dann küsste er mich.
    Auf die Wahrheit, dachte ich,
     egal, welche.
    Wir setzten uns die Helme auf
     und knipsten die Lampen an. Ich schob die Brosche an der Kette vorsichtig
     in mein Hemd. Dann stiegen wir hinab in die Finsternis.

 
    43
    Und es war finster auf der
     Tiefe.
    Der Tunnel war steinig und führte
     steil hinab ins Innere der Erde. Dann verjüngte er sich, und wir
     mussten auf allen vieren weiterkriechen. An manchen Stellen war es so eng,
     dass ich den Atem anhalten musste, um mich zwischen den Felswänden
     durchzuquetschen. Die Luft war modrig und feucht. Weiter vorne hörten
     wir das Fiepen der Fledermäuse. Das Licht an meinem Helm reichte kaum
     einen Meter; dahinter lauerte die Dunkelheit wie ein undurchdringliches, böses
     Wesen - der jahrtausendealte, schlafende Zorn der Berge. Ein, zwei Stunden
     arbeiteten wir uns voran, doch wahrscheinlich legten wir keine

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