Die Shakespeare-Morde
Licht
ihnen nicht folgen konnte.
Die Fußspuren kreuzten
unseren Weg. Wir wollten die Besucher finden, nicht den Tempel, und so
trat ich aus der Nische in die Halle hinaus. Wie hoch die Decke bis jetzt
gewesen sein mochte, hier war sie unermesslich. Ich bückte mich, um
mir die Fußspuren anzusehen.
Es waren die Abdrücke
von Stiefeln. Zwei Paar. Ich sah sie mir genauer an. Zwei Personen waren
hineingegangen, doch nur eine war wieder herausgekommen. Nein - die
gleichen Stiefel waren zweimal hineingegangen, auf dem gleichen Weg. Die
gleiche Person ging zweimal hinein, doch nur einmal heraus. Schweigend
standen wir vor der Spur. Dann wandte ich mich in die Höhle.
Vorsichtig folgten wir der
alten Fährte, ohne die Abdrücke zu verwischen. Die meiste Zeit führte
sie direkt an der Wand entlang, nur um die Steinsäulen machte sie
kleine Umwege. Nach einer Säule, die so dick wie ein Mammutbaum war,
zweigte die einzelne Spur in die Dunkelheit ab. Ich warf Matthew einen
Blick zu und folgte ihr.
Wir mussten nicht weit gehen.
Ich sah den Schädel
zuerst. Er lag genauso da, wie er gestorben war, mit dem Rücken gegen
eine Säule gelehnt. Die Kleider waren langsam an seinem Gerippe
vermodert. In seiner Nähe lag ein Colt. Doch es war die Gürtelschnalle,
an der wir ihn erkannten. JG.
Jem Granville.
Es gab keinen sichtbaren
Hinweis darauf, warum er gestorben war. Kein Einschussloch im Schädel,
kein Pfeil, der zwischen seinen Rippen steckte. Es gab keine Bücher.
Und wie ein kurzer Blick in seine Taschen zeigte, auch keine Papiere.
»Verdammt«, sagte
Matthew. »Was machen wir jetzt?«
Wieder fiel irgendwo in der
Halle ein Tropfen. »Weiter«, sagte ich entschlossen.
So schnell wie möglich
folgten wir seinen Spuren - diesmal denen, die hinein- und herausführten.
Am anderen Ende des Saals kamen wir an eine steile Geröllhalde, die
bis unter die Decke reichte. Schlammige Stiefelabdrücke führten
hinauf. Ich stieg auf das Geröll und begann hinaufzuklettern. Ein größerer
Stein gab unter mir nach, und wir warfen uns flach auf den Bauch, während
eine kleine Lawine von Kies und prasselnden Steinen unter uns in den
Schlamm rutschte. Wir wagten uns nicht zu rühren, bis alles still
war. Es war dumm von mir gewesen. Unglaublich dumm. Vor allem nach dem
kleinen Vortrag, den ich Matthew gehalten hatte. Ein falscher Schritt genügte,
und einer von uns verknackste sich den Knöchel oder verdrehte sich
das Knie und wäre bewegungsunfähig, womöglich wir beide,
tief unten unter der Erde.
Von jetzt an kletterten wir
langsam auf allen vieren weiter und prüften vorsichtig jeden Stein.
In etwa zwanzig Metern Höhe erreichten wir die Decke. Schließlich
fanden wir eine Öffnung, die wir zunächst für einen
Schatten gehalten hatten. An einer Stelle war die Felswand in zwei glatte
Steinmassen gespalten und gab einen v-förmigen Gang frei, dessen
Grund mit Geröll gefüllt war.
Schlammige Fußspuren führten
in die Dunkelheit. Wir folgten ihnen um mehrere Kurven und Biegungen, dann
wurde die Luft trockener, und die Fußspuren
wurden blass und pudrig. Wir befanden uns auf halber Höhe zwischen
Boden und Decke eines mittelgroßen Raums -der »Sakristei«
der »Kathedrale«, die wir hinter uns gelassen hatten. Zu
unseren Füßen fiel eine Geröllhalde ab. Links endete sie
auf einem breiten Vorsprung, der in knapp zwei Metern Höhe an der
Wand entlanglief. Auch in diesem Raum gab es Säulen, und die Wände
zeigten die gleiche wellige Oberfläche wie in der Kathedrale - nur
wirkte der Stein hier trocken und tot, vertrocknet wie Mumien oder die Flügel
alter Motten. Rechts hatte sich der Erdrutsch tiefer in die Höhle
geschoben, und das Geröll lief schließlich am Boden aus. Dort
unten, in der Mitte der Höhle, sah es aus, als hätte jemand so
etwas wie Ordnung schaffen wollen: Ein Kreis von rußigen Steinen
schloss sich um die Reste einer alten Feuerstelle. Dahinter glotzten von
einem Knochenhaufen zwei Pferdeschädel zu uns herüber. Wie waren
sie hier hereingekommen? Der Raum endete vor einem Haufen riesiger Felsblöcke.
Einen anderen Ausgang gab es nicht; die Höhle war eine Sackgasse.
Ich wandte mich nach links
und folgte vorsichtig dem Vorsprung. Matthew folgte mir. Im Licht unserer
Lampen warfen die Säulen tanzende Schatten. Dahinter, nicht weit von
der Feuerstelle, tauchten mehrere Steinhaufen auf.
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