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Die Shakespeare-Morde

Die Shakespeare-Morde

Titel: Die Shakespeare-Morde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Lee Carrell
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Licht
     ihnen nicht folgen konnte.
    Die Fußspuren kreuzten
     unseren Weg. Wir wollten die Besucher finden, nicht den Tempel, und so
     trat ich aus der Nische in die Halle hinaus. Wie hoch die Decke bis jetzt
     gewesen sein mochte, hier war sie unermesslich. Ich bückte mich, um
     mir die Fußspuren anzusehen.
    Es waren die Abdrücke
     von Stiefeln. Zwei Paar. Ich sah sie mir genauer an. Zwei Personen waren
     hineingegangen, doch nur eine war wieder herausgekommen. Nein - die
     gleichen Stiefel waren zweimal hineingegangen, auf dem gleichen Weg. Die
     gleiche Person ging zweimal hinein, doch nur einmal heraus. Schweigend
     standen wir vor der Spur. Dann wandte ich mich in die Höhle.
    Vorsichtig folgten wir der
     alten Fährte, ohne die Abdrücke zu verwischen. Die meiste Zeit führte
     sie direkt an der Wand entlang, nur um die Steinsäulen machte sie
     kleine Umwege. Nach einer Säule, die so dick wie ein Mammutbaum war,
     zweigte die einzelne Spur in die Dunkelheit ab. Ich warf Matthew einen
     Blick zu und folgte ihr.
    Wir mussten nicht weit gehen.
    Ich sah den Schädel
     zuerst. Er lag genauso da, wie er gestorben war, mit dem Rücken gegen
     eine Säule gelehnt. Die Kleider waren langsam an seinem Gerippe
     vermodert. In seiner Nähe lag ein Colt. Doch es war die Gürtelschnalle,
     an der wir ihn erkannten. JG.
    Jem Granville.
    Es gab keinen sichtbaren
     Hinweis darauf, warum er gestorben war. Kein Einschussloch im Schädel,
     kein Pfeil, der zwischen seinen Rippen steckte. Es gab keine Bücher.
     Und wie ein kurzer Blick in seine Taschen zeigte, auch keine Papiere.
    »Verdammt«, sagte
     Matthew. »Was machen wir jetzt?«
    Wieder fiel irgendwo in der
     Halle ein Tropfen. »Weiter«, sagte ich entschlossen.
    So schnell wie möglich
     folgten wir seinen Spuren - diesmal denen, die hinein- und herausführten.
     Am anderen Ende des Saals kamen wir an eine steile Geröllhalde, die
     bis unter die Decke reichte. Schlammige Stiefelabdrücke führten
     hinauf. Ich stieg auf das Geröll und begann hinaufzuklettern. Ein größerer
     Stein gab unter mir nach, und wir warfen uns flach auf den Bauch, während
     eine kleine Lawine von Kies und prasselnden Steinen unter uns in den
     Schlamm rutschte. Wir wagten uns nicht zu rühren, bis alles still
     war. Es war dumm von mir gewesen. Unglaublich dumm. Vor allem nach dem
     kleinen Vortrag, den ich Matthew gehalten hatte. Ein falscher Schritt genügte,
     und einer von uns verknackste sich den Knöchel oder verdrehte sich
     das Knie und wäre bewegungsunfähig, womöglich wir beide,
     tief unten unter der Erde.
    Von jetzt an kletterten wir
     langsam auf allen vieren weiter und prüften vorsichtig jeden Stein.
     In etwa zwanzig Metern Höhe erreichten wir die Decke. Schließlich
     fanden wir eine Öffnung, die wir zunächst für einen
     Schatten gehalten hatten. An einer Stelle war die Felswand in zwei glatte
     Steinmassen gespalten und gab einen v-förmigen Gang frei, dessen
     Grund mit Geröll gefüllt war.
    Schlammige Fußspuren führten
     in die Dunkelheit. Wir folgten ihnen um mehrere Kurven und Biegungen, dann
     wurde die Luft trockener, und die Fußspuren
     wurden blass und pudrig. Wir befanden uns auf halber Höhe zwischen
     Boden und Decke eines mittelgroßen Raums -der »Sakristei«
     der »Kathedrale«, die wir hinter uns gelassen hatten. Zu
     unseren Füßen fiel eine Geröllhalde ab. Links endete sie
     auf einem breiten Vorsprung, der in knapp zwei Metern Höhe an der
     Wand entlanglief. Auch in diesem Raum gab es Säulen, und die Wände
     zeigten die gleiche wellige Oberfläche wie in der Kathedrale - nur
     wirkte der Stein hier trocken und tot, vertrocknet wie Mumien oder die Flügel
     alter Motten. Rechts hatte sich der Erdrutsch tiefer in die Höhle
     geschoben, und das Geröll lief schließlich am Boden aus. Dort
     unten, in der Mitte der Höhle, sah es aus, als hätte jemand so
     etwas wie Ordnung schaffen wollen: Ein Kreis von rußigen Steinen
     schloss sich um die Reste einer alten Feuerstelle. Dahinter glotzten von
     einem Knochenhaufen zwei Pferdeschädel zu uns herüber. Wie waren
     sie hier hereingekommen? Der Raum endete vor einem Haufen riesiger Felsblöcke.
     Einen anderen Ausgang gab es nicht; die Höhle war eine Sackgasse.
    Ich wandte mich nach links
     und folgte vorsichtig dem Vorsprung. Matthew folgte mir. Im Licht unserer
     Lampen warfen die Säulen tanzende Schatten. Dahinter, nicht weit von
     der Feuerstelle, tauchten mehrere Steinhaufen auf.

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