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Die Shakespeare-Morde

Die Shakespeare-Morde

Titel: Die Shakespeare-Morde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Lee Carrell
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Als wir näher
     kamen, zählte ich fünf. Die ordentlichen Rechtecke mussten von
     Menschenhand stammen. An einem Ende jedes Haufens lag die aufwärtsgebogene
     Kante eines Helms. Helme, wie sie die spanischen Konquistadoren trugen.
    »Das ist eine Gruft«,
     flüsterte ich, doch die hallenden Wände nahmen meine Worte auf
     und warfen sie durch die Luft.
    Am Fuß jedes Grabs
     lagen Gerätschaften - ein Schwert, ein Kettenhemd, eine vermodernde
     Ledertasche. Vor dem ersten sank Matthew auf die Knie und begann neugierig
     die Sachen durchzugehen. Ich schritt betroffen von Grab zu Grab und dachte
     an die Soldaten, die darin lagen.
    Dann entdeckte ich ein
     sechstes Grab hinter einer Säule am anderen Ende.
    Der letzte Mann. Er hatte
     keinen mehr, der ihn mit Steinen bedeckte. Auch fehlte ihm der Helm, um
     sein Grab zu markieren. Doch er hatte sich auf den Rücken gelegt und
     die Arme vor der Brust gekreuzt. Die Kapuze seiner grauen Kutte war tief
     in sein Gesicht gezogen, und darunter starrte mich sein Schädel an.
     Er wirkte wie die Personifizierung des Todes, nur dass er statt der Sense
     ein Kruzifix in den knochigen Fingern hielt.
    War dies der goldene Jüngling,
     den Shakespeare in seinen Sonetten besungen hatte?
    Eine Satteltasche lag zu
     seinen Füßen.
    Ich kniete mich hin und
     öffnete sie mit zitternden Händen. Darin war ein Buch.
     Vorsichtig zog ich es heraus und schlug es auf.
     
    EL INGENIOSO
    HIDALGO DON QVI-
    XOTE DE LA MANCHA
    Compuesto por Miguel de
     Cervantes
    Saavedra.
     
    Am Ende des Buches steckte
     ein Bündel Papiere. Ich faltete sie auseinander. Die Seiten waren in
     einer altmodischen gedrängten Schreibschrift von Hand beschrieben.
     Secretary Hand. Oben auf der ersten Seite stand ein Wort:

    Die nächsten Worte waren
     englisch: Auftritt Knappe Sancho und Don Quixote.
    Ich tastete den Boden ab und
     setzte mich. Mein Herz raste, mein Mund war trocken. Das verschollene Stück.
     Das musste es sein.
    Es begann - wie Cervantes’
     Roman - damit, dass der alte Don und sein Knappe mitten im Gebirge eine
     alte Reisetasche finden. In der Tasche stecken ein Taschentuch voll Gold
     und ein edel gebundenes Notizbuch.
    Du kannst das Gold behalten,
     Freund Sancho, sagt der Don. Ich nehme das Buch.
    Es war genau das, was Jem
     Granville behauptet hatte: ein jakobäisches Manuskript von ›Cardenio‹
     … Shakespeares verschollenes Stück.
    »Matthew«, sagte
     ich leise. »Schau dir das an.«
    Er antwortete nicht.
    Ich sah mich um. Matthew
     kniete nicht mehr vor dem Grab, wo ich ihn zurückgelassen hatte. Die
     Lampe an meinem Helm, stellte ich plötzlich fest, war das einzige
     Licht in der Höhle. Ich stand auf und ging ein paar Schritte zurück.
     »Matthew?«
    Doch die Höhle war leer.
     Dann spürte ich, dass ich beobachtet wurde. Und plötzlich hörte
     ich, von allen Wänden und Säulen widerhallend, das Zischeln
     einer Klinge, die aus der Scheide gezogen wurde.

 
    44
    Ich rannte. Am Ende des
     Vorsprungs begann ich auf allen vieren die Geröllhalde zum Ausgang
     hinaufzuklettern, doch jemand packte mich am Bein und zog mich zurück.
     Ich verlor meinen Helm, der den Abhang hinunterrollte und am Boden liegen
     blieb, die Lampe nutzlos gegen den Fels gerichtet.
    Ich strampelte, holte aus und
     schlug mit der Satteltasche nach meinem Angreifer. Als ich hörte, wie
     er nach Luft schnappte und fluchte, riss ich mich los. Er stürzte
     sich auf mich, doch ich stützte mich mit einem Knie ab und trat mit
     dem anderen Bein nach hinten aus. Ich traf irgendetwas, er jedoch packte
     mich um die Taille und drückte mich mit solcher Wucht zu Boden, dass
     die Satteltasche in die Dunkelheit flog. Bevor ich mich bewegen konnte,
     setzte er sich auf mich und legte mir die Hände um den Hals.
    Es war Matthew. »Auftritt
     der geschändeten Lavinia«, sagte er. »Die Hände
     abgehauen und die Zunge ausgeschnitten.«
    Entsetzt schlug ich nach
     seinem Gesicht, doch er packte mein Handgelenk und drückte es auf den
     Boden. Im Dämmerlicht sah ich Metall aufblitzen, und dann spürte
     ich ein Messer an meiner Wange. Die Spitze grub sich in die Haut unter
     meinem rechten Auge.    
    Ich hielt still.
    »Schon besser.«
     Er ließ mein Handgelenk los und griff zum Reißverschluss
     meiner Jeans. »Zuerst kommt die Schändung, glaube ich.«
     Er betastete meinen Schenkel. »Ich hatte mir zwar eine andere Bühne
     vorgestellt, aber das hier tut es auch.«
    Ich hörte einen Schlag,
     und

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