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Die Shakespeare-Morde

Die Shakespeare-Morde

Titel: Die Shakespeare-Morde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Lee Carrell
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können?«
    Sie stand auf und winkte uns,
     ihr zu folgen. Der Computer stand auf einem unordentlichen Schreibtisch.
     Sie wählte sich ins Internet ein und schob mir einen Stuhl hin.
    Ich gab ›Bacon‹
     und ›Chiffre‹ bei Google ein, und heraus kam ein
     Wikipedia-Eintrag. Mit einer hübschen Darstellung des Codes.
    Für Bacons Chiffre war
     keine unsichtbare Tinte oder erfundene Botschaft nötig. Die geheime
     Botschaft ließ sich in jeden beliebigen Text eintragen. Es brauchte
     nur zwei verschiedene Schriftarten oder -typen: Die eine sei a, die andere
     b. In der Chiffre werden die beiden Fonts als binärer Code benutzt,
     bei dem jeweils fünf Buchstaben ein Zeichen ergeben: Fünf
     Buchstaben des Decktexts stehen für einen Buchstaben des Geheimtexts.
     Die Sequenz aaaaa heißt »a«. Die Sequenz aaaab heißt
     »b«. Der Schlüssel war die Schriftart, nicht der Inhalt
     des Textes, wodurch man verdächtigen Nonsens vermied wie: »Tante
     Gerda wird am Dienstag ein rotes Huhn essen, wenn sie am Oxford Beach
     Picknick macht«, was bei jedem Leser, der ein Auge für Codes
     hatte, die Alarmglocken schrillen ließe.
    Auf einem Zettel notierte ich
     den ersten Satz des Psalms und teilte die Buchstaben anstatt in Worte in Fünfergruppen
     auf. God is our refuge and strength: 
    Godis / ourre / fugea / ndstr
     / ength
      Dann setzte ich für die
     unmarkierten Buchstaben ›a‹ ein und für die
     gekennzeichneten ›b‹. Heraus kam Nonsens. Also drehte ich
     das Ganze herum - setzte für die fetten Buchstaben ›a‹
     ein und für die mageren ›b‹. Damit und mit dem Schlüssel,
     den ich aus dem Internet hatte, war es ziemlich einfach, die Botschaft zu
     entschlüsseln:
     
     Matthew und ich wussten
     bereits, wie der letzte Buchstabe lauten musste, doch der Form halber
     dechiffrierten wir ihn: 

    ›»Timon von
     Athen‹«, sagte Matthew. »Auf der Signaturseite der
     Psalmen. In Bacons Chiffre von 1623.«
    ›Timon von Athen‹
     war eins von Shakespeares unpopulärsten Werken, ein finsteres Stück
     voll von Gift und Galle, in dem es um einen Mann ging, der zuerst mit
     beiden Händen Geld austeilte, um andere glücklich zu machen, und
     am Ende die ganze Menschheit wegen ihrer Habgier verachtete. Und es war
     der Name eines von Granvilles Claims.
    »Einer der Claims auf
     unserem Land«, sagte Mrs Jiménez leise.
    Matthew lachte. Am Ende des
     Stücks, erklärte er, gräbt der verbannte, hungernde Timon
     in der Erde nach Wurzeln und findet Gold.
    Nicht alles gleißt, was
     Gold ist, hatte Jem geschrieben. »Können Sie uns dorthin
     bringen?«, fragte ich.
    Mr Jiménez sah seine
     Frau an. Sie tauschten eine wortlose Botschaft, dann kratzte er sich am
     Kinn und sah in den Sonnenaufgang hinaus. »Weit ist es nicht - a
     vuelo de pájaro. Im Vogelflug. Aber ohne Flügel kommt man
     nicht leicht da rauf. Können Sie reiten?«
    Matthew nickte. Er war mit
     Polo-Ponys aufgewachsen.
    »Gut genug«,
     sagte ich.
    »Memo hat Señora
     Preston einmal mit raufgenommen«, sagte Mrs Jiménez. »Hat
     sie Ihnen das erzählt?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Sie war ein zäher
     alter Vogel«, sagte Mr Jiménez. »Zäher, als man
     ihr das ansah. Hat sich durch nichts davon abbringen lassen, sich alle
     Claims, die Granville hatte, anzusehen. Sie sei auf der Suche nach einem
     Stollen, sagte sie, aber den Grund hat sie uns nie verraten.« Er
     zuckte die Achseln. »Wie ich schon sagte, da oben gibt es keine
     Stollen. Nichts, das darauf hinweist, dass auf einem dieser Claims je
     gearbeitet worden ist. Wollen Sie ihn trotzdem sehen?«
    Ich nickte.
    Mr Jiménez setzte sich
     den Hut wieder auf den Kopf. »Vámonos pues«, sagte er.

 
    42
    Unten am Korral halfen wir Mr
     Jiménez drei Maultiere zu satteln -am Berg seien sie schlauer als
     Pferde, erklärte er uns. Und sie hielten den Durst besser aus.
     Nachdem wir die Maultiere auf einen Transporter geladen hatten, fuhren wir
     hinauf in die Berge.
    Auf einer lieblichen Weide
     luden wir die Maultiere ab und zurrten die Sattel fest, während der
     Himmel heller wurde. Als wir in den Schatten der Berge ritten, tauchten
     wir wieder in die graue Kühle ein, die vor dem Sonnenaufgang
     herrschte. Den Morgen im Nacken, trotteten wir durch silbriges Gras und
     dunkle Mesquite-Sträucher und schlängelten uns durch Wälder
     von dünnen, durstigen Kakteen. Zu beiden Seiten ragten bleiche Steilwände
     in die Höhe, und bald ging es einen schmalen Canyon hinauf.

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