Die Shakespeare-Morde
können?«
Sie stand auf und winkte uns,
ihr zu folgen. Der Computer stand auf einem unordentlichen Schreibtisch.
Sie wählte sich ins Internet ein und schob mir einen Stuhl hin.
Ich gab ›Bacon‹
und ›Chiffre‹ bei Google ein, und heraus kam ein
Wikipedia-Eintrag. Mit einer hübschen Darstellung des Codes.
Für Bacons Chiffre war
keine unsichtbare Tinte oder erfundene Botschaft nötig. Die geheime
Botschaft ließ sich in jeden beliebigen Text eintragen. Es brauchte
nur zwei verschiedene Schriftarten oder -typen: Die eine sei a, die andere
b. In der Chiffre werden die beiden Fonts als binärer Code benutzt,
bei dem jeweils fünf Buchstaben ein Zeichen ergeben: Fünf
Buchstaben des Decktexts stehen für einen Buchstaben des Geheimtexts.
Die Sequenz aaaaa heißt »a«. Die Sequenz aaaab heißt
»b«. Der Schlüssel war die Schriftart, nicht der Inhalt
des Textes, wodurch man verdächtigen Nonsens vermied wie: »Tante
Gerda wird am Dienstag ein rotes Huhn essen, wenn sie am Oxford Beach
Picknick macht«, was bei jedem Leser, der ein Auge für Codes
hatte, die Alarmglocken schrillen ließe.
Auf einem Zettel notierte ich
den ersten Satz des Psalms und teilte die Buchstaben anstatt in Worte in Fünfergruppen
auf. God is our refuge and strength:
Godis / ourre / fugea / ndstr
/ ength
Dann setzte ich für die
unmarkierten Buchstaben ›a‹ ein und für die
gekennzeichneten ›b‹. Heraus kam Nonsens. Also drehte ich
das Ganze herum - setzte für die fetten Buchstaben ›a‹
ein und für die mageren ›b‹. Damit und mit dem Schlüssel,
den ich aus dem Internet hatte, war es ziemlich einfach, die Botschaft zu
entschlüsseln:
Matthew und ich wussten
bereits, wie der letzte Buchstabe lauten musste, doch der Form halber
dechiffrierten wir ihn:
›»Timon von
Athen‹«, sagte Matthew. »Auf der Signaturseite der
Psalmen. In Bacons Chiffre von 1623.«
›Timon von Athen‹
war eins von Shakespeares unpopulärsten Werken, ein finsteres Stück
voll von Gift und Galle, in dem es um einen Mann ging, der zuerst mit
beiden Händen Geld austeilte, um andere glücklich zu machen, und
am Ende die ganze Menschheit wegen ihrer Habgier verachtete. Und es war
der Name eines von Granvilles Claims.
»Einer der Claims auf
unserem Land«, sagte Mrs Jiménez leise.
Matthew lachte. Am Ende des
Stücks, erklärte er, gräbt der verbannte, hungernde Timon
in der Erde nach Wurzeln und findet Gold.
Nicht alles gleißt, was
Gold ist, hatte Jem geschrieben. »Können Sie uns dorthin
bringen?«, fragte ich.
Mr Jiménez sah seine
Frau an. Sie tauschten eine wortlose Botschaft, dann kratzte er sich am
Kinn und sah in den Sonnenaufgang hinaus. »Weit ist es nicht - a
vuelo de pájaro. Im Vogelflug. Aber ohne Flügel kommt man
nicht leicht da rauf. Können Sie reiten?«
Matthew nickte. Er war mit
Polo-Ponys aufgewachsen.
»Gut genug«,
sagte ich.
»Memo hat Señora
Preston einmal mit raufgenommen«, sagte Mrs Jiménez. »Hat
sie Ihnen das erzählt?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Sie war ein zäher
alter Vogel«, sagte Mr Jiménez. »Zäher, als man
ihr das ansah. Hat sich durch nichts davon abbringen lassen, sich alle
Claims, die Granville hatte, anzusehen. Sie sei auf der Suche nach einem
Stollen, sagte sie, aber den Grund hat sie uns nie verraten.« Er
zuckte die Achseln. »Wie ich schon sagte, da oben gibt es keine
Stollen. Nichts, das darauf hinweist, dass auf einem dieser Claims je
gearbeitet worden ist. Wollen Sie ihn trotzdem sehen?«
Ich nickte.
Mr Jiménez setzte sich
den Hut wieder auf den Kopf. »Vámonos pues«, sagte er.
42
Unten am Korral halfen wir Mr
Jiménez drei Maultiere zu satteln -am Berg seien sie schlauer als
Pferde, erklärte er uns. Und sie hielten den Durst besser aus.
Nachdem wir die Maultiere auf einen Transporter geladen hatten, fuhren wir
hinauf in die Berge.
Auf einer lieblichen Weide
luden wir die Maultiere ab und zurrten die Sattel fest, während der
Himmel heller wurde. Als wir in den Schatten der Berge ritten, tauchten
wir wieder in die graue Kühle ein, die vor dem Sonnenaufgang
herrschte. Den Morgen im Nacken, trotteten wir durch silbriges Gras und
dunkle Mesquite-Sträucher und schlängelten uns durch Wälder
von dünnen, durstigen Kakteen. Zu beiden Seiten ragten bleiche Steilwände
in die Höhe, und bald ging es einen schmalen Canyon hinauf.
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