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Die Shakespeare-Morde

Die Shakespeare-Morde

Titel: Die Shakespeare-Morde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Lee Carrell
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flüsterte ich, und als ich es aussprach, klickte es in einem
     verborgenen Winkel meines Kopfs. Einen Moment lang saß ich still da.
     Dann fischte ich mein Telefon aus der Tasche und rief Sir Henry an.
    »Das Einstichloch«,
     sagte ich, als er sich meldete, und meine Stimme überschlug sich vor
     Aufregung.
    »Dir auch einen schönen
     Tag, liebe Kate.«
    »Das Einstichloch, das
     sie bei Ros gefunden haben. Wo war es?«
    »Seltsame Frage«,
     sagte er irritiert, »mit einer merkwürdigen Antwort. Die ich
     zufälligerweise kenne, weil ich heute Abend ein weiteres Gespräch
     mit Inspektor Sinclair hatte. Wunderbar grimmiger Kerl -ganz Dostojewski.«
    »Wo, Sir Henry?«
    »An der Vene direkt
     hinter ihrem rechten Ohr.«
    Grünes Licht sickerte
     schimmernd durch das Blätterdach über mir, als würde ich
     auf dem Grund eines ruhigen Meers sitzen. Hier unten hatte es kaum noch
     die Kraft, die Schatten aufzuhellen, und von seiner Wärme war nichts
     mehr zu spüren.
    »Kate? Bist du noch da?«
    »Genau wie er«,
     flüsterte ich.
    »Wer? Was genau wie
     wer?«
    »Hamlets Vater. Der
     alte Hamlet. So ist er gestorben. So ist er zum Geist geworden.«
    Sir Henry holte hörbar
     Luft. »Und träufelt’ in den Eingang meines Ohrs das schwärende
     Getränk«, murmelte er. »Mein Gott, Kate, natürlich.
     Sein Bruder hat ihm Gift ins Ohr geträufelt, während er schlief.
     Es passt alles… bis auf eines.«
    »Was?«
    »Das vorläufige
     toxikologische Gutachten, Darling«, sagte er sachte. »Es wurde
     nichts gefunden.«
    »Kein Gift? Bist du dir
     sicher?«
    »Ich weiß nicht,
     was sie gesucht haben. Drogen und Medikamente wahrscheinlich. Jedenfalls
     haben sie kein Gift entdeckt.«
    »Sie müssen etwas
     übersehen haben. Kannst du Inspektor Sinclair persönlich -«
    »Inspektor Grimm hat es
     mir selbst mitgeteilt.«
    »Verdammt, Sir Henry«,
     knurrte ich. »Der Geist von Hamlets Vater ist die Rolle, in der Ros
     gestern Nachmittag aufgetaucht ist. Und die Bücher, auf deren Spur
     sie mich gesetzt hat - die Signatur -, die Bände sind weg. Nicht
     ausgeliehen. Einfach verschwunden. Glaubst du an so viele Zufälle?«
    In der Leitung herrschte
     ahnungsvolles Schweigen.
    Dann sagte Sir Henry etwas
     steif: »Ich rede mit Sinclair, aber unter einer Bedingung. Du gehst
     in dein Hotel zurück, schließt die Tür ab und wartest auf
     meinen Anruf. Ich habe Angst um dich.«
    »Aber der Chambers -«,
     protestierte ich.
    »Eben hast du gesagt,
     die Bände sind verschwunden.«
    »Aber -«
    »Warte auf meinen
     Anruf, Kate.« Er meinte es ernst. »Sobald wir mehr von
     Sinclair wissen, überlegen wir, was der nächste Schritt ist.
     Falls du recht hast - und das heißt nicht, dass ich das glaube -,
     dann befindest du dich in gefährlichem Gewässer, Kate, in dem du
     nicht allein schwimmen solltest.«
    Ich zögerte. Wenn ich
     seinem Rat folgte, würde ich Chambers zu früh aufgeben, davon
     war ich überzeugt. Andererseits konnte ich es mir nicht leisten, Sir
     Henrys Hilfe auszuschlagen. »Schön«, sagte ich
     widerwillig. »Ich warte, bis du anrufst.«
    »Braves Mädchen.
     Ich melde mich, sobald ich mehr weiß.«
    Ich klappte das Telefon zu.
     In was, zum Teufel, hatte Ros sich verwickeln lassen? Und mich dazu - und
     Sir Henry?
    Dann blickte ich über
     den Rasen zur Bibliothek. Von hier wirkten die Säulen am Eingang so
     monumental, als wollte sich aus dem kargen Backsteinkorsett ein
     griechischer Tempel befreien. Ein Tempel der Weisheit, dachte ich. Die
     erlauchtesten Mitglieder des Harvard-Kollegiums hatten die Ehre, private
     Arbeitszimmer darin zu erhalten. Matthew Morris, der Bibliotheken aus
     Prinzip verachtete, hatte in seines zwar kaum je einen Fuß gesetzt,
     doch er weigerte sich, es aufzugeben. Es ging ums Prestige. Ein Büro
     in der Widener-Bibliothek war so etwas wie ein Ehrenabzeichen. »Meine
     Kammer der Geheimnisse«, hatte Ros ihr Büro genannt, als sie
     mir an meinem ersten Tag als Assistentin den Schlüssel überreichte.
     »Das Gehäuse für mein Gedächtnis.«
    Eine Erinnerung rief die nächste
     wach. »Was ist das?«, hatte ich bei unserem letzten
     Zusammentreffen gestern gefragt. »Es ist in mein Gedächtnis
     fest verschlossen«, hatte ihre Antwort gelautet, »und Ihr
     solltet selbst dazu den Schlüssel führen.«
    Gestern dachte ich, sie
     meinte die goldene Schachtel, doch jetzt fiel mir ein, dass ich auch den
     echten Schlüssel zu ihrem Gedächtnis besaß. Ich kramte
    

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