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Die Shakespeare-Morde

Die Shakespeare-Morde

Titel: Die Shakespeare-Morde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Lee Carrell
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hatten die Fenster auf den
     verödeten Innenhof gezeigt, der nur den Vögeln zugänglich
     war und dem Abfall, den der Wind hineintrug. Jetzt blickte ich auf einen
     hell erleuchteten Lesesaal. Langsam erinnerte ich mich wieder - es war
     einer der Glanzpunkte der Renovierung: Man hatte den Innenhof um das
     Mausoleum mit einem Glasdach versehen und das Brachland darunter zu zwei
     luxuriösen Lesesälen umgebaut.          
    Wenn ich in der Mitte des Büros
     stand, konnte mich jeder, der heraufblickte, sehen. Fluchend trat ich
     hinter den Schreibtisch zurück. Ich stellte die Tasche ab und setzte
     mich in Ros’ Stuhl, um nachzudenken.
    Falls jemand heraufsah, würde
     es nicht weiter auffallen, wenn ich am Schreibtisch saß und las.
     Wahrscheinlich könnte ich sogar den Computer benutzen, ohne Verdacht
     zu erregen. Keiner würde zweimal darüber nachdenken, wenn eine
     Assistentin im Büro einer Professorin arbeitete. Vor allem bei Ros,
     die nicht viel von Computern hielt. Die Entwürfe für ihre Bücher
     und Artikel schrieb sie noch mit der Hand und gab sie dann an ihre
     Mitarbeiter weiter. Solange nichts von ihrem Tod bekannt war, konnte ich
     getrost an ihrem Computer sitzen.
    Doch ich musste ihre Regale
     durchsuchen, und da lag das größere Problem. Exzentrisch, wie
     Ros war, standen ihre Bücher in zwei Reihen in den Regalen. Und während
     die meisten Leute, die ihre Bücher zweireihig stellten, die häufig
     benutzten Bände vorn hatten, war bei Ros genau das Gegenteil der
     Fall. Sie mochte es nicht, wenn Außenstehende ihre unausgegorenen
     Gedanken sahen, wie sie es ausdrückte. Um sich gegen neugierige
     Blicke zu schützen, hatte sie in ihren Regalen ein Bollwerk aus den
     Veröffentlichungen von Kollegen und Freunden und den jüngsten
     Werken der Shakespeare-Forschung errichtet.
    Auf den ersten Blick gab es
     nichts, das einen Hinweis auf Ros’ unvorhersehbare Gedankengänge
     lieferte. Ich seufzte. Was ich suchte, war irgendwo hinter all den anderen
     Büchern versteckt. Um ›Die Elisabethanische Bühne‹
     zu finden, würde ich jedes Buch einzeln aus dem Regal ziehen müssen,
     was gelinde gesagt verdächtig wirkte, wenn jemand heraufsah, und außerdem
     so viel Zeit in Anspruch nahm, dass die Wahrscheinlichkeit, gesehen zu
     werden, hoch war.
    In einem Becher neben dem
     Computer steckte eine Taschenlampe zwischen den Bleistiften und Kulis. Ich
     nahm sie an mich. Um zehn Uhr würde die Bibliothek schließen.
     Bis elf würden auch die Mitarbeiter und Hausmeister gegangen sein -
     um zwölf würde alles still sein. Ab da hätte ich sechs oder
     sieben Stunden, in denen ich unbehelligt suchen könnte - bis die
     Mitarbeiter am nächsten Morgen wiederkämen, um die Pforten um
     acht zu öffnen. Ich lächelte Mrs Woolf an, die mich mit großen
     traurigen Augen ansah. Was bei helllichtem Tag nicht zu bewerkstelligen
     war, musste eben bei Dunkelheit geschehen. Ich musste mich nur in der
     Bibliothek einschließen lassen. An Ros’ Bildschirm lehnte eine
     moderne Faksimile-Ausgabe der First Folio Edition. Ich griff nach dem
     Band, nahm meine Tasche und verließ ihr Büro.
    Draußen setzte ich mich
     in eine der Lesekabinen und schlug Ros’ Ausgabe von Shakespeares
     gesammelten Werken auf. Während der langen Wartezeit ging ich jede
     Seite durch, ohne eine einzige Randbemerkung zu finden.
    Um halb zehn kam endlich der
     Mann mit dem Megafon durch die Gänge. »Die Ausleihe schließt
     in fünfzehn Minuten. In fünfzehn Minuten schließt die
     Ausleihe.« Um Viertel vor zehn flackerten die Lichter, und die
     wenigen verbliebenen Bibliotheksbenutzer brachen auf. Ich wartete, bis ich
     den Mann mit dem Megafon zwei Stockwerke unter mir hörte. Schließlich
     stand ich auf und streckte meine steifen Glieder. In London war es fast
     drei Uhr morgens, doch ich hatte noch Stunden Arbeit vor mir, bevor ich
     schlafen konnte. Ich warf einen Blick in den Gang. In diesem Teil der
     Bibliothek war nicht viel Betrieb gewesen. Jetzt war er leer.
    Ich klappte das Buch zu und
     schlich zurück zu Ros’ Büro. Der Schlüssel hakte ein
     wenig. Dann öffnete ich die Tür einen Spalt und schlüpfte
     hinein. Der Lesesaal unter den Fenstern lag verlassen da; die
     Bibliothekarin hatte ihren Posten verlassen. Geduckt stellte ich die
     Tasche ab, dann setzte ich mich auf den Boden. Ich nahm mein Telefon und
     schaltete es aus. Als ich den leiser werdenden Geräuschen lauschte,
     stieg plötzlich

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