Die Shakespeare-Morde
komödiantisches
Talent besaß … entweder das, oder aber er war ein zweiter
Rain Man, der statt Zahlen Worte beherrschte.
Ich drückte auf ›Kopieren‹,
und die Maschine erwachte mit einem Rattern zum Leben.
Durchs Fenster drang das
Geschrei von Männern und weiteres Schwerterklirren. Wahrscheinlich
lagen sich drüben im Theater Mercutio und Tybald in den Haaren, was
hieß, dass beide gleich tot wären. Ich zwang meine
Aufmerksamkeit wieder auf den Bildschirm und ließ den Mikrofilm
weitergleiten.
In den drei folgenden Tagen
berichtete die Zeitung in kurzen Nachrichten über Granvilles
Fortschritte unter den neugierigen Augen der Dorfgranden. Das Ganze fand
im Salon einer gewissen Miss Marie-Pearl Dumont statt, in einem exklusiven
Etablissement mit dem hübschen Namen Versailles. Wie es aussah, hatte
Granville seine Proben in ein französisches Bordell verlegt.
Dann fand ich die Kritik der
Aufführung, seltsam blumig für eine Zeitung, die in der gewalttätigsten,
gesetzlosesten Stadt der Geschichte des amerikanischen Westens erschien:
BIRD-CAGE-THEATER. - Mr J.
Granvilles Darbietung als Hamlet am Samstagabend war überaus
erbaulich, ein großer kultureller Beitrag, dessen sich unsere
Gemeinde rühmen kann. Statt die Ergüsse des leidenschaftlichen Dänen
in Fetzen zu zerstottern, wurden sie von Mr Granville mit bewundernswerter
Eloquenz abgeliefert. Ein wahrer Augen- und Ohrenschmaus, Caviar, ja, und
Champagner, und zwar von der Art, wie ihn auch die Massen lieben. Mr
Granville ließ den Helden nicht zum schlaffen Feigling auferstehen,
wie er in jüngster Zeit so gerne auf den Bühnen im Osten porträtiert
wird, sondern als kraftstrotzende Seele, die selbst das hartgesottene
Publikum in Arizona nur bewundern kann. Mit Übung und Fleiß hätte
Mr Granville das Zeug zum großen Schauspieler, davon sind wir überzeugt,
doch wir fürchten, er schmiedet bereits einen neuen Coup.
Auch von dieser Seite machte
ich eine Kopie. Er schmiedet bereits einen neuen Coup. War Granville außer
einem Spieler und Goldsucher auch ein Betrüger? Misstrauen
wallte in mir auf. War die Sache mit dem Manuskript ein Schwindel, den er
Child andrehen wollte - und damit auch Ros und mir?
»Ich habe den Nachruf
gefunden«, meldete Ben.
»Machen Sie eine Kopie«,
sagte ich und beugte mich über seine Schulter, um mitzulesen.
THE BIRD CAGE. - Am
vergangenen Samstag durften die Freunde und Bewunderer von Mr Jeremy
Granville, unserem jüngst verschiedenen Bruder, einer Gedenkaufführung
des ›Hamlet‹ zu Ehren von Mr Granville beiwohnen, unter
Mitwirkung von Mr Macready und seinem ausgezeichneten Schauspielensemble,
die glücklicherweise unser Theater mit ihrer Anwesenheit beehrten. Mr
Jeremy Granville, Freund und
Gentleman, hatte vor zwei Monaten zu Pferd die Stadt verlassen mit der
Absicht, eine Woche fortzubleiben, doch leider haben wir seither nichts
von ihm gesehen oder gehört. Das Gerücht eines Goldfundes hat
zahlreiche alte und neue Freunde dazu bewegt, sich in der Wüste auf
die Suche nach ihm zu machen, doch ohne Erfolg.
Seinen engsten Vertrauten
zufolge war Mr Granville kein Anhänger von Beerdigungen, auch wenn er
wußte, daß er möglicherweise zu seiner eigenen aufbrach,
als er, obwohl gerade die Apachen auf dem Kriegspfad sind, in unbekanntes
Territorium aufbrach.
Den Wortlaut seines
Kommentars abzudrucken, sind wir nicht imstande, doch die Botschaft
lautete, falls man eines Tages Worte über ihn verlieren müsse,
so seien es die Worte Shakespeares, von einem Schauspieler vorgetragen,
und nicht die aus einem Gebetbuch, gelesen von einem Pfaffen. Seine
Kameraden haben ihr Bestes getan, seinem Wunsche nachzukommen. Nach
allgemeinem Erachten ist Mr Macready diesem Wunsche mehr als gerecht
geworden, und Mr Granvilles einziger Grund zur Klage besteht nunmehr
darin, die Aufführung versäumt zu haben.
»Sehen Sie sich das
Datum an«, sagte Ben kopfschüttelnd. »Genau zwei Monate
vor der Schießerei am O. K. Corral, als Wyatt Earp drei von den
Clantons kaltgemacht hat, ebenfalls in Tombstone. Darüber war er wohl
schnell in Vergessenheit geraten, trotz der Gerüchte um das Gold.«
»Da draußen gibt
es höchstens Silber, kein Gold, und das hätten die Schlaueren
seiner Zeitgenossen gewusst. Falls eine echte Chance bestanden hätte,
Gold zu finden, wäre die Geschichte niemals so
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