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Die Shakespeare-Morde

Die Shakespeare-Morde

Titel: Die Shakespeare-Morde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Lee Carrell
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Sie
     lachte - ein temperamentvolles Lachen, das nichts von einer verhuschten
     Bibliothekarin hatte. Doch obwohl die beiden so einvernehmlich wirkten,
     entging mir nicht, dass Ben die Tür, die Fenster und sogar Maxine im
     Auge behielt.
    Ich nahm die Granville-Karte
     aus dem Katalog und schob einen rosa Stellvertreterzettel hinein.
     Hamlet. Wahrscheinlich hatte er damit Ros’ Aufmerksamkeit erregt.
     Aber in welche Richtung war sie von hier gegangen? Ich sah mir die
     Informationen auf der Karte an.
     
    Arbeitete in New Mexico
     und Arizona, 1870-1881. Claims in Arizona:
    Cordelia, Ophelia, Prinz
     von Marokko, Timon von Athen; Claims in New Mexico: Kleopatra, Cupido.
     
    Granville kannte seinen
     Shakespeare: Cordelia, Ophelia und Kleopatra waren weit verbreitete
     Shakespeare-Namen, beliebt bei den Goldgräbern im ganzen Westen. Ich
     wunderte mich nur, wie er auf Timon gekommen war. Als Shakespeare das Stück
     über den alten Misanthropen schrieb, schien ihm irgendeine Laus
     über die Leber gelaufen zu sein: Es war kein Stück, das man
     freiwillig las. Cupido kam mir vage bekannt vor, doch ich hätte erst
     nachsehen müssen, um sicher zu sein. Aber es war der Prinz von
     Marokko, der mich am meisten irritierte - nicht weil er willkürlich
     war, sondern im Gegenteil, weil er so gut passte.
    Im ›Kaufmann von
     Venedig‹ soll der Prinz von Marokko aus drei Truhen - aus Gold,
     Silber und Blei - diejenige wählen, die Portias Porträt enthält.
     Findet er die Richtige, gewinnt er ihre Hand. Doch als er sich für
     die goldene Truhe entscheidet, findet er nur einen Spottvers darin:
     »Alles ist nicht Gold, was gleißt.« Es war die gleiche
     Zeile, mit der Granville in seinem Brief an Professor Child gespielt
     hatte. Arizona und New Mexico waren zwar keine Goldregionen, doch in einem
     Punkt hatte ich recht gehabt. Für Mr Granville war der Gedanke an
     Gold mehr als nur eine Laune. 
    Auf der Katalogkarte standen
     außerdem Verweise auf mehrere Zeitungsartikel im ›Tombstone
     Epitaph‹ Der letzte lautete: Nachruf: Tombstone Epitaph, 20. August
     1881.
    Der Brief an Professor Child
     musste also vor diesem Datum geschrieben worden sein.
    »Findest du, was du
     suchst?«
    Ich erschrak. Maxine und Ben
     standen direkt hinter mir. So viel dazu, dass ich auf der Hut sein sollte.
    »Klar.« Ich trug
     die Daten der Artikel im ›Epitaph‹ in einen Bestellzettel
     ein. Maxine verschwand damit im Hinterzimmer und kam mit zwei Mikrofilmboxen zurück,
     »Jan.-Juni 1881« und »Juli-Dez. 1881«. Dann setzte
     sie sich an ihren Computer. Ich schob Ben die zweite Kiste hin. »Haben
     Sie schon mal Mikrofilm gelesen?«
    »Kein Bedarf in meinem
     Geschäft.«
    »Jetzt schon.« Es
     gab zwei Lesegeräte. Ich zeigte ihm, wie er die Rolle einführen
     musste, dann schaltete ich das Licht ein. »Der Nachruf auf Granville
     muss irgendwo in der Zeitung vom 20. August 1881 stehen.«
    In der Zwischenzeit suchte
     ich nach den Artikeln über seinen Auftritt als Hamlet. Beim
     Vorscrollen flogen die Seiten bis Mai vorbei, dann wurde ich langsamer.
     Hier war es:
     
    EINE GUTE WETTE. - Wie wir
     am Morgen erfahren haben, wird einer unserer Mitbürger, ein in
     sportlichen Kreisen bekannter Gentleman, im Bird-Cage-Theater am kommenden
     Samstagabend erstmals den Hamlet geben. Der Gentleman spielt die Rolle
     aufgrund einer schwerwiegenden Wette, bei der einhundert Dollar auf dem
     Spiel stehen, nämlich daß er nicht in der Lage sei, den Text
     (den längsten im ganzen Stück) innerhalb von drei Tagen
     auswendig zu lernen. Besagtes Lernen der Rolle soll heute Nachmittag in
     einem gewissen Salon von bestem Ruf beginnen.          
    Freuen Sie sich auf ein
     aufregendes Ereignis.
     
    Granvilles Name tauchte in
     dem Artikel zwar nicht auf, doch er wurde als Spieler bezeichnet, und zwar
     auf hohem Niveau. Einhundert Dollar mussten im Jahr 1881 ein Haufen Geld
     gewesen sein: Tausende, vielleicht Zehntausende Dollar nach heutigem Wert.
     Doch was mich weit mehr beeindruckte als die Höhe der Wette, war die
     Dreitagesfrist. Hamlet war die längste und anstrengendste aller
     Shakespeare-Rollen. Die meisten erfahrenen Schauspieler, die ich kannte,
     konnten sie nicht in drei Tagen lernen. Eine solche Aufgabe schaffte nur
     jemand, der mit Shakespeare so vertraut war, dass ihm Tonfall und Rhythmus
     der Sprache ganz natürlich erschienen. Jemand, der selbst gut im
     Geschichtenerzählen war und darüber hinaus

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