Die Shakespeare-Morde
Jiménez.«
Sie legte auf.
»Kann ich die Sachen
sehen?«
»Nein.« Finster
sah sie das Telefon an.
»Warum nicht?«
»Sie haben sie
verkauft.«
Ich fluchte. »An wen?«
»An Athenaide Preston.
Bitte sag mir jetzt nicht, dass ich sie auch noch um die Zeit anrufen
muss.«
»Bitte, Maxine«,
flehte ich. »Tu es für Ros.«
»Na gut«, sagte
sie. »Ich tue es für Ros. Aber dann schuldest du mir wirklich
einen Gefallen.«
Ich hörte das Tuten in
der Leitung, dann klickte es.
»Hallo, Mrs Preston?
Hier spricht Maxine Tom vom Archiv.«
Die Stimme am anderen Ende
klang schrill, doch ich verstand nicht, was sie sagte, denn Maxine hielt
den Hörer zu und machte dabei eine Grimasse. Dann riss sie sich
zusammen.
»Ja, Ma’am, es
tut mir wirklich leid, dass ich so spät anrufen muss, aber hier ist
jemand wegen der Granville-Sammlung. Mrs Jiménez sagte mir, dass
Sie vor drei Tagen bei ihr waren und die Sachen gekauft haben … Ich
verbürge mich für sie. Wir haben zusammen in Harvard studiert.
Katharine Stanley … Ja, Ma’am. Sie ist hier. Sie steht direkt
vor mir. Nein, Ma’am. Natürlich. Ich sage es ihr. Vielen Dank.
Einen schönen Abend noch.«
Maxine knallte den Hörer
auf die Gabel und stöhnte. »Ich hoffe, die Bisswunden in meinen
Ohren sind es wert.« Dann sah sie mich fragend an. »Sie war
stinksauer - bis sie deinen Namen hörte. Sie sagte, sie kennt deine
Arbeit und du könntest ruhig kommen. Aber du musst bis sieben Uhr früh
bei ihr sein. Um neun muss sie weg.«
»Wo wohnt sie?«
»Ihr gehört eine
ganze Stadt. Zugegeben, eine Geisterstadt, aber trotzdem, sie besitzt das
ganze verdammte Nest. In New Mexico, in der Nähe des schönen
Lordsburg. Shakespeare heißt der Ort.«
Ich zuckte zusammen.
»Du bist die ganze Zeit
für Ros durchs Land gefahren und kennst Shakespeare nicht?«
»Es war nur ein Monat.
Als ich ging, hatten wir kaum die Oberfläche angekratzt.«
»Es steht alles in
ihrem Buch.«
Ich sah sie ausdruckslos an.
»Du hast es nicht
gelesen, nicht wahr?« Sie nahm das Buch vom Tisch und legte es mir
wieder in die Hände. Diesmal schlug sie die Seite nach dem Impressum
auf. Bis auf zwei Zeilen war die Seite leer.
Für Kate, las ich. Und
darunter stand in kursiven Lettern: Allen Töchtern meines Hauses.
Sprachlos starrte ich die
Widmung an.
Maxine beobachtete mich mitfühlend.
»Wut oder Bedauern?«
»Beides«, flüsterte
ich.
»Lass es gut sein,
Kate. Lass sie gehen.«
Unsere Blicke trafen sich.
»Ich kann nicht. Noch nicht.«
Maxine schüttelte den
Kopf. »Wenn du dich mit Mrs Preston treffen willst, musst du los. Es
sind elf Stunden bis nach Shakespeare, wenn man sich ans Tempolimit hält,
und ihr habt nur neuneinhalb Stunden. Wie ich Mrs Preston kenne, weiß
sie das genau. Ich schätze, sie will testen, wie viel dir wert ist,
wonach du suchst.«
Maxine holte eine Landkarte
und zeigte mir die Strecke: ein gestrecktes seitenverkehrtes J, das
Arizona in zwei Teile schnitt und bei Tucson ostwärts nach New Mexico
verlief.
»Und jetzt gehe ich
heim, wenn du nichts dagegen hast. Ich habe einen kleinen Sohn, der seine
Gutenachtgeschichte hören will.«
Ich sah sie überrascht
an. »Oh, natürlich. Das habe ich nicht gewusst.«
»Es ist ja auch lange
her«, sagte sie nachsichtig.
Ich sah auf die Uhr. Ben
musste jeden Moment zurück sein. Wahrscheinlich würde er mir auf
dem Weg zum Wagen entgegenkommen. Zögernd sammelte ich meine Kopien
ein. Maxine wollte mich dafür nicht zahlen lassen, also ging ich zur
Tür. »Danke«, sagte ich verlegen.
»Pass auf dich auf,
Katie«, sagte Maxine.
Draußen empfing mich
die Dunkelheit. Ich durchschritt die kleine Senke, hinter der das Theater
und der Parkplatz lagen. Als ich den Weg durch den Fichtenhain betrat, der
um das Theater herumführte, hielt ich inne und lauschte, doch ich
konnte nur leises Gemurmel hören. Vielleicht wachten Romeo und Julia
gerade auf und wussten, dass sie sich trennen mussten. Oder Julia nahm das
Gift, das den Scheintod auslöste.
Ich war drei Schritte
gegangen, als ich unter den Bäumen in der Senke hinter mir ein
Rascheln hörte. Ich sah mich um. Die Fenster der Bibliothek waren
dunkel; hohe, fedrige Wolken glitten am Mond vorbei und ließen die
rautenförmigen Scheiben wie Schlangenhaut schillern. Das Wasser im
Teich unter der Weide wirkte wie
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