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Die Shakespeare-Morde

Die Shakespeare-Morde

Titel: Die Shakespeare-Morde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Lee Carrell
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»Heiße
     Torten unter den Pforten! Süßes für die Süßen!«
    Der Sketch kam
     schenkelklopfend zum Ende. Gierig nach Applaus und Pfiffen begannen die
     Schauspieler eine Gigue zu tanzen. Irgendwo ertönte eine Trompete,
     und dann tanzte die Truppe durch die Bäume davon, ohne aus dem Takt
     zu geraten, und verschwand in den offenen Toren des Theaters. Das Publikum
     erhob sich, klopfte sich die Kleider ab und folgte ihnen.
    Ein paar Minuten später
     standen wir in der hereinbrechenden Dunkelheit ganz allein auf der Wiese.
     Ich zeigte auf eine grasige Senke mit einem kleinen Haus, das weniger im
     Neo-Tudorstil gehalten als der echten Tudorzeit nachempfunden war: Es war
     die exakte Kopie von Shakespeares Geburtshaus in Stratfordupon-Avon, bis
     hin zum blassen Mausgrau der Wände und dem strohgedeckten Dach.
     »Das ist es«, sagte ich zu Ben. »Das Utah Shakespeare
     Archive.«
    Es war noch schöner, als
     ich es in Erinnerung hatte. Alte Steinstufen führten in die Senke
     hinunter und an einem kleinen Teich vorbei, über den sich eine
     Trauerweide beugte. Den Park hatte es damals noch nicht gegeben. Auch die
     Blumen nicht, die in der Dämmerung immer noch leuchteten. Wie in den
     Gärten englischer Cottages waren sie zu dichten Stauden gepflanzt,
     doch die Sorten gehörten hierher, in den gebirgigen Westen - Akelei,
     Castilleja und Rittersporn. Am Rand des Teichs schillerte ein Koi, magisch
     wie der Schwanz einer Meerjungfrau. Ich blieb stehen.
    Seit ich heute Morgen,
     viertausend Kilometer weiter östlich, im Harvard Book Store das
     kleine Haus aus meinen Erinnerungen gegraben hatte, hatte ich alles
     darangesetzt, so schnell wie möglich hierherzugelangen. Jetzt, als
     ich fast da war, zögerte ich. Solange ich hier draußen unter
     der Trauerweide stand, gab es zumindest die Möglichkeit, dass die
     Antwort, die ich suchte, direkt dort, am anderen Ufer des Teiches, hinter
     der dicken Eichentür wartete. Wenn ich hineinging, könnte ich
     herausfmden, dass ich mich irrte.          
    Während ich dort stand,
     ging der prachtvolle Mond über dem Strohdach auf. Erwartungsvolle
     Stille legte sich über das Theater hinter uns.
    Ich weiß nicht, worauf
     ich wartete. Vielleicht auf eine weitere Trompetenfanfare. Doch was
     geschah, war viel simpler. Die Tür öffnete sich, und eine Frau
     mit langem schwarzen Haar, das im Mondlicht glänzte, trat heraus. Sie
     hatte uns den Rücken zugewandt, als sie den Schlüssel im Schloss
     umdrehte, doch ich wusste auch so, dass ihre Haut so rotbraun wie die Erde
     von Utah war.
    »Ya’at’eeh«,
     rief ich leise. Das einzige Wort Navaho, an das ich mich erinnerte:
     ›Hallo‹.
    Sie zuckte zusammen und
     drehte sich um. Maxine Tom, halb Navaho-, halb Paiute-Indianerin, war eine
     strahlende Schönheit mit breiten Wangenknochen und einem lachenden
     Mund. Wie sie dort vor der Tür stand, in einem weiten Rock, einem
     engen Sweatshirt mit Reißverschluss und hippen Turnschuhen, hätte
     sie genauso gut vor dem neuesten Club in Manhattan stehen können.
     Aber sie fühlte sich nirgendwo so zu Hause wie hier, in dieser
     surrealen Mischung von Shakespeare-Nostalgie und Prärie.
    Andererseits schien Maxine
     stets ein Knäuel surrealer Mischungen im Gepäck zu haben, egal
     wo sie hinging. Ich lernte sie in Harvard kennen, als sie dabei war, ihre
     Promotion zu beenden, während ich gerade erst damit anfing. Ich hielt
     sie für einen der brillantesten Menschen der Welt, und ich war mit
     meiner Meinung nicht allein. Nach der Promotion wurde sie mit Angeboten
     überhäuft, was fast obszön war, wenn man bedachte, wie rar
     die Stellen in der Shakespeare-Forschung gesät waren. Sie hatte sich
     die Stelle ausgesucht, die ihr wie auf den Leib geschneidert war:
     Junior-Professorin für englische Literatur und Leiterin einer kleinen
     Archivbibliothek zwischen den roten Felsen und Wacholderhainen der
     Hochebene von Utah im Westen der USA.
    Ros war nicht froh darüber
     gewesen. Ich saß direkt vor ihrem Büro, als Maxine ihr die
     Neuigkeit überbrachte. Eine kalte Stille entstand, und dann sagte
     Ros: »Du hättest nach Yale oder Stanford gehen können.
     Warum willst du dein Talent im Süden von Utah verschwenden?«
    Der Süden von Utah sei
     der Ort, an den sie gehöre, erklärte Maxine. Nur hier konnte sie
     nahe beim Volk ihres Vaters im Paiute-Reservat südlich der Stadt und
     dem ihrer Mutter drüben in Dinetah sein - dem Land der Navaho - und
    

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