Die Shakespeare-Morde
Tradition auch diesmal hochhält.«
»Worum geht es bei der
Konferenz?«
»Du weißt nichts
davon?« Er zog ein Programm aus seiner Computertasche und drückte
es mir in die Hand. Ben las über meine Schulter hinweg mit.
Auf der Hochglanzbroschüre
prangte in roten Buchstaben der Titel: WER WAR SHAKESPEARE?
Ich starrte ihn an. »Du
machst Witze.«
»Die Sache ist todernst«,
entgegnete Matthew. »Auch wenn das Ganze ein gewisses
Unterhaltungspotenzial hat. Es gibt Fürsprecher aller wichtigen
Kandidaten: Zur Debatte stehen der Graf von Oxford, Sir Francis Bacon,
Christopher Marlowe, Elisabeth I. -«
»Königin
Elisabeth?«, fragte Ben ungläubig.
»O ja, aber es gibt
sogar noch bessere als die frigide alte Fledermaus«, sagte Matthew
mit einem verächtlichen Blick auf das Porträt an der Wand.
»Henry Howard, Graf von Surrey, zum Beispiel, der vierzig Jahre
bevor Shakespeares erstes Stück auf die Bühne kam, starb. Und
Daniel Defoe, der vierzig Jahre später zur Welt kam. Mein persönlicher
Favorit ist ein ansonsten vollkommen unbekannter Franzose namens Jacques
Pierre.«
Im Programm fand ich Matthews
Namen für den Vortrag am Samstagmorgen. »›Shakespeare
und die Feuer des geheimen Katholizismus‹?«
»Kopf an Kopf mit dem
Erzmagus Wayland Smith, der über Shakespeare, die Rosenkreuzer und
die Tempelritten referiert«, las Ben. »Beinharte Konkurrenz.«
»Der Erzmagus hat eine
blühende Fantasie«, schnaubte Matthew. »Ich dagegen habe
Beweise. Aber sie haben mich umgebucht.« Er warf mir einen mitfühlenden
Blick zu. »Ich bin der neue Hauptreferent.«
»Finden Sie ihn«,
hörte ich Athenaide im Hintergrund sagen. Dann legte sie auf und kam
zu uns zurück. »Sie sind noch nicht aus dem Schneider«,
warnte sie Matthew. »Sagen Sie den Korinthenkackern von der
Organisation, dass wir Wesley schon noch auftreiben.« Als Matthew
sich nicht rührte, setzte sie nach: »Bitte.«
Er zögerte. »Bei
dir ist wirklich alles in Ordnung?«, fragte er mich.
»Solange die Polizei
mich nicht findet.«
Die Farbe wich aus seinem
Gesicht. »Es tut mir so leid. Ich dachte -«
»Schon gut.«
Er fischte eine Karte aus
seiner Jacketttasche. Rasch kritzelte er seine Handynummer auf die Rückseite
und hielt sie mir hin. »Versprich mir, dass du anrufst, wenn du
Hilfe brauchst. Bitte.«
Ich steckte die Karte ein.
»Es ist alles in Ordnung, Matthew.«
»In der Zwischenzeit
habe ich Sie um etwas gebeten«, drängte Athenaide.
Vorsichtig öffnete Ben
die Tür und ließ Matthew hinaus.
»Wesley North«,
sagte ich vorwurfsvoll, als er draußen war.
Athenaide ignorierte mich.
»Wie ist Ihr Plausch mit Nicholas gelaufen?«
Nicholas? Niemand nannte Dr.
Sanderson Nicholas. Nicht einmal Ros. Rasch erzählte ich Athenaide
von Ophelia, ihrer Verbindung zu Delia und dem Brief, der sich nicht unter
den Bacon-Papieren befand. Nur die Sache mit der Brosche behielt ich für
mich. Ros hatte mir die Brosche geschenkt, und ich sah keinen Grund -
bisher -, dass ich mein Geschenk teilen sollte. »Wir warten hier,
bis Dr. Sanderson den Brief bringt«, schloss ich. »In der
Zwischenzeit bleiben wir bei meiner Theorie. Sie sind Oxfordianerin,
Athenaide.«
»Vero nihil verius«,
antwortete sie mit gespreizten Händen.
Ich kannte das Zitat. Nichts
ist wahrer als die Wahrheit. Doch es war keine bloße Phrase, es war
das Motto des Grafen von Oxford. Eine Art Passwort in der Halbwelt der
Shakespeareaner - jenem Paralleluniversum, in dem die verschiedensten
Arten des Wahnsinns regierten.
Athenaide lächelte
nachsichtig. »Sie spricht nicht von meinem Studium in Oxford, Mr
Pearl, was mich ohnehin nicht zur Oxfordianerin, sondern zur ›Oxonianerin‹
machen würde. Auch spielt sie nicht auf meine familiären Wurzeln
in Oxford an, sei es in England oder in Mississippi.«
Sie nahm mir die Broschüre
aus der Hand und faltete sie auf, um Ben das Porträt eines Mannes im
Wams mit hohem Kragen zu zeigen, dessen Halskrause mit schwarzer Spitze
gesäumt war. Dunkles Haar und ein kurz geschnittener Bart umrahmten
ein herzförmiges Gesicht. Seine Nase war lang, und er hielt sie hoch.
Um den Hals trug er an einem schwarzen Band ein goldenes Wildschwein, das
er mit der Hand berührte.
»Mit Oxfordianerin
meint Katharine, dass ich glaube, die Stücke, die wir Shakespeare
zuschreiben, seien in Wahrheit von
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