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Die Shakespeare-Morde

Die Shakespeare-Morde

Titel: Die Shakespeare-Morde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Lee Carrell
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Lesesaals. Die Tür war offen, und dahinter saß
     eine Aufsicht an einem Schreibtisch. Ben hielt mich zurück, bis wir hörten,
     dass jemand den Lesesaal verließ und seine Besucherkarte vorlegte -
     keine große Ablenkung, aber besser als nichts. Auf Bens Nicken
     traten wir in den Flur und schlenderten so gleichgültig wie möglich
     an der Tür der Aufsicht vorbei.
    Der Founders’ Room war
     leer. Ben zog die Tür hinter uns zu und schloss ab.
    Ursprünglich als
     privater Rückzugsort für die Gründer der Bibliothek, Henry
     und Emily Folger, konzipiert, wirkte der Raum wie ein elisabethanisches
     Boudoir mit dunklen, kassettierten Paneelen, Balken an der Decke,
     poliertem Parkett und Milchglasscheiben in den blinden Fenstern. In der
     Mitte stand ein langer, mit Schnitzwerk verzierter Tisch mit Stühlen,
     die im Vergleich zum Rest der wuchtigen Einrichtung zerbrechlich wirkten.
     Gekrönt wurde das Ganze von einem herrlichen Gemälde von
     Elisabeth I.
    Athenaide war nicht zu sehen.
    Ben schritt den Raum ab, während
     ich zur Königin hinaufsah. Das rote Samtkleid mit den wattierten,
     elfenbeinfarbenen Satinbesätzen, mit Gold und Perlen bestickt,
     betonte ihren blassen Teint, die tiefroten Locken und ihre schwarzen
     Augen. In der Hand hielt sie ein Sieb, Symbol ihrer Rolle als jungfräuliche
     Königin. Das Gesicht, das der Maler ihr gegeben hatte, war
     gleichzeitig zu Größe und zu Grausamkeit fähig.
    Ben untersuchte ein paar
     Kassettentüren, die einen steinernen Torbogen verschlossen, als wir
     hinter uns in der Ecke ein Klopfen hörten. Beide drehten wir uns um.
    Durch eine unauffällige
     Tür in einer Nische kam Dr. Nicholas Sanderson hereingestürzt,
     der Bibliothekar, mit einem losen Bündel maschinengeschriebener
     Seiten unter dem Arm. »Das sollte es sein -«, begann er, dann
     blieb er wie angewurzelt stehen und starrte von Ben zu mir. »Dr.
     Stanley«, sagte er röchelnd.
    Dr. Sanderson war ein
     eleganter Südstaaten-Gentleman von kleinem Wuchs mit einem leichten
     Akzent, der seine Heimat, Virginia, verriet, sanften Rehaugen und einer
     spitzen Nase. Seine Haut war haselnussbraun und glänzte wie frisch
     geschrubbt, und sein grauer lockiger Haarkranz erinnerte vage an
     Shakespeares Tonsur. Er hatte ein Faible für Fliegen - heute hatte er
     sich eine mit rotem Paisley-Muster umgebunden - und trug gerne glänzende
     Schuhe, die auf dem Parkett klackten.
    »Ich habe gehört,
     dass Sie vielleicht kommen würden. Vom FBI. Wie sind Sie hier
     reingekommen?«
    »Zu Fuß.«
    »Das wird das FBI nicht
     gerne hören«, sagte er trocken.
    »Es wäre gut, wenn
     das FBI überhaupt nichts davon hört«, antwortete ich.
     »Ich bin hier, um Sie um Hilfe zu bitten, Dr. Sanderson.«
    Er verschränkte die Arme
     auf dem Rücken und sah mich nachdenklich an. »Sie müssen
     verstehen, wenn ich Vorbehalte habe, Dr. Stanley. Soweit ich weiß
     sind überall, wo Sie in den letzten Tagen aufgetaucht sind, First
     Folios in Flammen aufgegangen, zusammen mit den Gebäuden, in denen
     sie aufbewahrt wurden.«
    »Die Folios aus dem
     Globe und der Widener-Bibliothek sind nicht verbrannt«, sagte ich
     ruhig. »Sie wurden gestohlen.«
    »Was?«
    »Neunundsiebzig«,
     sagte Ben. »Das ist die Anzahl derer, die Sie besitzen, nicht wahr?«
    Dr. Sanderson musterte ihn.
     »Und Sie sind?«
    »Hall«,
     antwortete Ben, bevor ich ihn vorstellen konnte. »Jude Hall.«
    Innerlich zuckte ich
     zusammen, doch Dr. Sandersons Miene zeigte keinen Hauch des
     Wiedererkennens. Allerdings hatte er auch nichts von Susan Quinn gehört.
     »Sie haben recht, Mr Hall«, sagte Dr. Sanderson indigniert,
     was seinen Südstaatenakzent noch verstärkte. »Und mit
     dieser Zahl geht eine gewisse Verantwortung einher.«
    »Haben Sie in letzter
     Zeit nachgezählt?«, fragte ich.
    Jetzt war er empört.
     »Wenn Sie andeuten wollen, es könnte ohne unser Wissen eine
     verschwunden sein, muss ich Ihnen sagen, dass wir ein wenig knauserig
     sind, wenn es darum geht, wer unsere Folios zu Gesicht bekommt, selbst
     unter ganz normalen Umständen.«
    »Das war man im Globe
     und in Harvard auch«, gab ich zurück.
    »Und über die
     normalen Sicherheitsvorkehrungen hinaus«, fuhr Dr. Sanderson fort,
     »ist seit zwei Tagen das FBI hier.«
    »Wir sind
     hereingekommen«, stellte Ben fest.
    »Sie werden merken,
     dass das Hinauskommen weitaus schwieriger ist«, sagte Dr. Sanderson.
     »Aber ich nehme Sie beim Wort. Wenn Sie mich

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