Die Shakespeare-Morde
Schulter schien plötzlich schwerer zu werden. Ophelia Granville hatte
Emily Folger eine Brosche geschickt? Die hier als Reproduktion verkauft
wurde? Ich versuchte, mir die Überraschung nicht anmerken zu lassen.
»Ros hat sie mir geschenkt.«
»Das überrascht
mich nicht«, sagte Dr. Sanderson. »Es war ihre Idee, die
Brosche reproduzieren zu lassen.« Er stand auf und schob den Stuhl
exakt an die Stelle zurück, wo er gestanden hatte. Dann sammelte er
die Bacon-Papiere wieder ein. »Wenn Sie mich jetzt entschuldigen,
ich habe neunundsiebzig First Folios zu zählen und einen Brief aus
dem Archiv herauszusuchen. Es kann eine Weile dauern, aber ich komme
wieder, sobald ich fertig bin. Wenn Sie in der Zwischenzeit hier in diesem
Raum bleiben, erfährt das FBI von mir nichts.« Er ging zu der Tür,
durch die er gekommen war.
»Eins noch«,
sagte ich.
Ungeduldig straffte er die
Schultern. »Nebenbei haben wir hier eine wichtige Konferenz, die in
zwanzig Minuten beginnt. Ich kann mich nicht in Stücke reißen.«
»Der Dieb. Er ist nicht
nur ein Dieb und Brandstifter. Er ist außerdem ein Mörder.«
»Professor Howard«,
sagte Dr. Sanderson leise.
Ich nickte. »Gestern
Nacht gab es ein zweites Opfer. Maxine Tom vom Preston Archive in Utah.
Und er wollte auch mich umbringen.«
Dr. Sanderson kniff die Augen
zusammen. »Danke. Vielleicht darf ich Ihnen im Austausch auch eine
Warnung geben. Man hat mir gesagt, dass Mrs Preston den Bacon-Katalog
sehen wollte. Machen Sie gemeinsame Sache mit ihr?«
»So kann man es nicht
unbedingt nennen -«
»Hüten Sie sich,
Dr. Stanley.«
»Vor Athenaide?«
Seine Augenbrauen zogen sich
zu einer einzigen finsteren Linie zusammen. »Der Ruf, meine Liebe,
der Ruf. Ist er einmal dahin, hat man den unsterblichen Teil
seiner selbst verloren. Übrig bleibt nicht mehr als die Kreatur.«
Dann verließ er abrupt das Zimmer. Die Tür in der Nische
klappte zu, und ich hörte, wie das Schloss einschnappte.
Einen Augenblick später
klopfte es an der anderen Tür. »Ich bin’s, Athenaide.
Machen Sie auf.«
Ben winkte mich hinter sich
und zog den Revolver. Mit der anderen Hand schloss er die Tür auf.
»Kein Glück mit
den Howards«, sagte Athenaide, als sie mit einem Stapel Bücher
unter dem Arm durch die Tür trat. »Und der Lesesaal ist
geschlossen.«
Ben wollte gerade die Tür
hinter ihr schließen, als jemand von draußen rief: »Athenaide,
warten Sie!«, und sich hinter ihr durch die Tür drängte.
Es war Matthew Morris.
»Ich dachte, ich hätte
klar gesagt, dass ich nicht gestört werden will«, sagte
Athenaide eisig.
»Wieso sollte ich den
Botenjungen für Sie machen?«, gab Matthew zurück. »Alle
schlottern vor Ihren - Kate!« Dann fiel sein Blick auf Bens
Revolver. »Alles in Ordnung?«
»Ja. Alles in Ordnung.«
Ben schloss die Tür.
»Natürlich ist
alles in Ordnung«, sagte Athenaide.
»Und wer ist der
Cowboy?«, fragte Matthew.
»Sicherheit«,
erklärte Athenaide knapp. »Also, was wollten Sie mir so
dringend sagen?«
Matthew musterte Bens Waffe
misstrauisch, dann sah er Athenaide an. »Es scheint, als hätte
ich heute Abend bei der Debatte keinen Gegner. Ihr Protégé
ist nicht aufgetaucht.«
Athenaide ließ die Bücher
auf den Tisch fallen und zog ihr Telefon aus der Tasche. »Warten Sie
bitte«, sagte sie kurz, dann tippte sie eine Nummer und ging ans
andere Ende des Zimmers.
»Protégé?«,
fragte ich.
»Wesley North«,
erklärte Matthew grinsend.
Ich stutzte. »Der
Wesley North? Der Autor von ›Wahrer als die Wahrheit?« Es war
das erste große Buch, in dem die Meinung vertreten wurde, der Graf
von Oxford sei Shakespeare, und sein Autor argumentierte gut, in hieb- und
stichfester Akademiker-Prosa, nicht mit dem populistischen Geschwafel
eines Laien.
»Der und kein anderer«,
sagte Matthew. »Zur Eröffnung dieser durchgeknallten Konferenz
war eine Podiumsdiskussion mit ihm geplant. Dr. Sanderson hat mich
gebeten, die Fahnen der Orthodoxen hochzuhalten, und ich habe vor allem
deswegen zugestimmt, weil ich die Chance nicht verpassen wollte, Mister
Unbekannt zu Gesicht zu bekommen.«
»Du hast ihn nie
kennengelernt?«
»Hab ihn nie gesehen.
Und auch sonst keiner. Nicht einmal Athenaide, wette ich. Er lehrt an
einem Online-Kolleg, und er ist noch nie bei einer Konferenz erschienen.
Leider sieht es so aus, als ob er die
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