Die Sherbrooke Braut
die Bänder bis zum Hals zuzubinden. Für Augenblicke vergaß sie, wie naß und kalt und elend ihr war.
»Sie sind an der Reihe, Alexandra. Sie sehen recht erbarmungswürdig aus. Tom besitzt keine Kleider, das brauche ich wohl nicht zu erwähnen. Sie werden sozusagen mein Zwilling sein.«
Und so geschah es, daß innerhalb von zehn Minuten Lord und Lady Northcliffe auf einer grobgeschnitzten Bank in der Hütte des Wildhüters in dessen Kleidern saßen und den köstlichsten Tee, den beide je getrunken hatten, nippten.
Ihr eigene Kleidung lag auf jeder verfügbaren Fläche zum Trocknen ausgebreitet. Nach einiger Zeit bemerkte der Graf: »Wir danken Ihnen für Ihre Gastfreundschaft, Tom. Sollten Sie über ein zusätzliches Bettuch verfügen, würden Ihre Ladyschaft und ich vor dem Kamin schlafen.«
Tom O’Malley machte große Augen, erbleichte und holte tief Luft. »Nie und nimmer, Mylord! Bittet niemals wieder um etwas derart Unpassendes. Meine gute Mutter würde von ihrem himmlischen Zuhause zurückkehren und mich schlagen, bis mir die Nase aus dem Gesicht fiele.«
Der Graf protestierte. Alexandra hörte beiden belustigt zu, denn sie wußte, Douglas würde hier den kürzeren ziehen. Tom bat geradezu inständig immer und immer wieder: »Nein, Mylord, zwingen Sie mich bitte nicht dazu. Meine liebe tote Mut-ter, ja, sie blickt in diesem Augenblick auf uns hinab und schimpft mir die Ohren voll, Mylord.«
Douglas gab nach. Sein Kopf schmerzte teuflisch, und Alexandra sah aus, als würde sie jeden Augenblick zu Boden sinken, so erschöpft war sie. Sie zogen in Tom O’Malleys Schlafzimmer.
»Das Hemd reicht Ihnen bis zum Knie«, bemerkte Douglas über das schmale Bett zu Alexandra hinweg. »Sie können es ebensogut als Nachthemd tragen.«
»Natürlich werde ich das tun! Haben Sie befürchtet, ich würde es herunterziehen und wieder nackt vor Ihnen stehen? Oder etwa vor Ihnen paradieren, um Ihr Interesse zu wecken?«
Douglas wehrte ab: »Ich denke nicht, daß sich der Ort für eine großartige Zurschaustellung eignet.« Ohne sie eines Blickes zu würdigen, zuckte er mit den Achseln. »Sie stellen immer Dinge an, mit denen ich niemals gerechnet habe.«
»Machen Sie sich keine Sorgen, Mylord, daß ich noch irgend etwas Überraschendes anstelle. Sie werden mich sobald wie möglich los sein. Nie wieder werde ich Ihre Abscheu hervorrufen. «
»Ich empfand gar keine Abscheu.«
Alex schnaubte, ein recht lautes und seltsames Geräusch in der winzigen Kammer. Douglas lachte.
»Ich habe vor, Toms Hemd so lange zu tragen, bis es an mir vermodert, falls nötig.«
»Ich hoffe, Ihr Opfer erübrigt sich.«
»Ich auch.« Sie sah sich in der Kammer um. Es war hier reinlicher als ihr Schlafzimmer in Claybourn Hall, zwar karg möbliert, aber alles ordentlich hergerichtet und gepflegt. Die Bettdecke war weich, von hellblauer Farbe und sorgfältig gestrickt.
Sie löste ihren Gürtel und begann die grobgewebte Hose an der Taille herunterzurollen. Sie war mindestens acht Mal umgeschlagen, und trotz der widrigen Umstände mußte sie kichern, als sie die Hosen endlich herunterzog. Dann kam ihr zum Bewußtsein, was sie getan hatte und wo sie war; und sie erstarrte. »Tom ist sehr groß, aber so spindeldürr, daß die Hose an keiner Stelle paßt.« Dabei blickte sie zu Douglas hinüber. Er hatte sich das Hemd über den Kopf gezogen. Seine Hände lagen am Bund seiner Hose. Er sah sie an. Der kleine Schnaufer, den sie ausstieß, brachte ihn aus dem Konzept.
»Ich bitte Sie«, ermahnte er sie und drückte die Flamme der einzigen Kerze aus. »Ich habe keineswegs die Absicht, Sie zu schockieren, so wie Sie das mit mir getan haben. Glauben Frauen denn, Männer könnten nicht in Verlegenheit geraten, wenn sie die Verführerin spielen? Sei’s drum, ich bin sowieso nicht neugierig auf Ihre Antwort. Im Gegensatz zu Ihnen wird meine Entkleidungsprozedur ausschließlich im Dunkeln stattfinden. Nicht quieken.«
Als beide auf dem Rücken lagen, keine zwei Handbreit voneinander entfernt, bemerkte Alexandra: »Tom schien gar nicht überrascht, uns zu sehen.«
»Tom stammt aus einer langen Linie von phlegmatischen O’Malleys. Er ist ein guter Mann, obwohl ich nicht gerne sein Bett in Anspruch nehme. Er ist zwar so groß wie ich, aber das verdammte Bett ist zu kurz. Ich muß mich um ein neues für ihn kümmern. Das ist das mindeste, was ich für ihn tun kann.«
Douglas drehte sich und fluchte, als sein Ellbogen gegen ihren Kopf stieß. »Verflucht
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