Die Sherbrooke Braut
bekommen.«
»Nenn mich nicht mit diesem scheußlichen Namen!«
Tony packte eine Handvoll von Melissandes schönem schwarzem Haarschopf und preßte seine Frau gegen seine Brust. Dann küßte er sie und küßte sie so lange, bis sie besänftigt war. Er hob den Kopf mit einem Grinsen und warf Douglas einen amüsierten Blick zu, der eine Miene zog, als wollte er Tony an die Gurgel springen.
Das Herzpochen, verursacht durch das Küssen seiner Ehefrau, überspielte er mit gelassener Stimme: »Ich habe dir viel Kummer und Ärger erspart, Douglas. Mit den Jahren wirst du schon draufkommen. Ihr Temperament entspricht nicht gerade dem einer barmherzigen Nonne. Ich bin darauf gekommen, daß ihre vielen Wünsche und Bedürfnisse ständig Aufmerksamkeit verlangen, und sie sind zahlreich und sehr verschiedenartig. Glaub’s mir, Douglas.«
Melissande schnappte nach Luft und versetzte Tony einen Fausthieb gegen die Brust.
Lachend küßte er sie noch einmal heftig. »Ein Kompliment, mein Schatz.«
»Klang mir aber nicht so«, entgegnete Melissande höchst mißtrauisch. »Bist du dir auch sicher?«
»Mehr noch als über die Farbe meines Hengstes.«
»Wenn dem so ist, dann sei dir verziehen.«
»Ein feiner Zug von dir, Mellie. Sehr fein.«
Douglas stampfte in wütendem Schweigen auf das Schlafzimmer der Gräfin zu.
»Ungezogener Lümmel«, nuschelte er vor sich hin, aber nicht nuschelig genug.
»Er kann gut mit ihr umgehen«, bemerkte Alexandra erstaunt. »Erstaunlich.«
Douglas stieß einige unfeine Flüche aus.
»Es ist mir unbegreiflich, weshalb Vater meint, Sie würden einen guten Einfluß auf Reginald ausüben. Ihm ist wohl Ihr unflätiger Wortschatz nicht bekannt.«
»Ich sehe, es geht Ihnen schon viel besser. Sehr erfreulich, denn da ich Sie pflegen mußte, bin ich tatsächlich mit meinen Pflichten auf dem Schloßgut in Verzug geraten. Hoffentlich bleiben Sie einige Zeit im Bett und lassen mir meine Ruhe.«
Er fühlte, wie ihr Rücken wieder stocksteif wurde, und bereute seine unbedachten Worte. Einmal ausgesprochen, waren sie jedoch nicht mehr rückgängig zu machen. Doch sie hatte jedes einzelne davon verdient. Kratzbürstig und ruppig wie sie war. Außerdem bereitete sie ihm erheblichen Verdruß und drängte ihn in die Enge. Es versetzte ihn in Erstaunen und verärgerte ihn zugleich.
Alexandra erwiderte nichts. Eine junge Zofe - mit Namen Tess, wie Douglas erklärte - würde sich um die Wünsche Ihrer Ladyschaft kümmern. »Außerdem«, fuhr er fort, »wird Mrs. Peachham Sie mit Ratschlägen, Arzneien und allen möglichen Krankenspeisen vollstopfen. Gehen Sie mit ihr nach eigenem Gutdünken um, aber vergessen Sie nicht, sie meint es gut.«
Darauf verließ er sie. Alexandra schlief den Rest des Tages durch. Mrs. Peachham kam persönlich mit einem wunderschönen Silbertablett, beladen mit mindestens einem halben Dutzend verlockender Speisen für einen Rekonvaleszenten. »Seine Lordschaft meinte, ich sollte bei Ihnen bleiben, bis Sie genügend zu sich genommen haben«, verkündete sie und machte es sich in einem Ohrensessel bequem, der neben Alexandras Bett stand. Alexandra hatte den Eindruck, sie würde jeden einzelnen ihrer Bissen mitzählen.
»Wo hält sich Seine Lordschaft auf?«
Mrs. Peachham blickte für den Bruchteil einer Sekunde verlegen drein, schüttelte aber dann den Kopf: »Wissen Sie, Mylady, Gentlemen haben in einem Krankenzimmer nichts zu suchen. Sie bestehen doch nur aus zwei linken Händen, aus Gedankenlosigkeit und aus Wurstelei.«
»In Toms Hütte hat er alles andere als herumgewurstelt. Er glich eher einem Tyrannen, der genau wußte, was zu tun war.«
»Nun, das war ja auch wohl was anderes, nicht wahr?«
»Gewiß, das stimmt schon«, antwortete Alexandra und wandte sich einer neuen Schüssel zu, diesmal mit Dampfkartoffeln und Erbsen drinnen, die Mrs. Peachham für - sie aufdeckte. Den Abend verbrachte sie allein. Weder Mann noch Schwester kamen zu Besuch.
Sie verging vor Selbstmitleid.
Später verfiel sie in einen unruhigen Schlaf. Sie träumte einen ähnlichen Traum wie schon einmal. Eine wunderschöne junge Frau stand neben ihr und sah vollkommen regungslos auf sie hinab. Gleich einem Lufthauch und transparent, wunderschön und dennoch verschreckt. Seltsam. Sie wollte etwas sagen, unterließ es jedoch. Irgendwie ahnte Alexandra ihre Absicht. Sie wollte Alexandra vor etwas warnen, aber ohne einen Grund dafür angeben zu können. Die Dame trat noch näher an sie heran, beugte
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