Die Sherbrooke Braut
herablassenden Blick auf ihren gesenkten Kopf. Er hatte ihr die Erde, den Mond schenken wollen und sich selbst ihr zum Mann angeboten; doch sie war wie eine verdammte Furie über ihn hergefallen. Sie hatte ihn mit einem Abstelltischchen angegriffen! Sie hatte ihn in den >Goldenen Salon< eingesperrt! Dankbarkeit hätte sie ihm erweisen müssen, in Jubel ausbrechen, daß er so großzügig war und ihr verzieh. Schließlich war sie ebenso arglistig wie Tony und ihr Vater gewesen. Es war völlig unbegreiflich. Hatte sie sich nicht vor ihm ausgezogen und sich ihm angeboten, damit er die Annullierung vergessen sollte? Andererseits jedoch war er wohl nicht allzu freundlich mit ihr umgegangen. Er hatte sie abgelehnt, rigoros und kalt. Aber nein, das war jetzt nicht mehr wichtig. Er hatte sie gerettet, ihr die beste Pflege zukommen lassen, als sie krank gewesen war. Er schüttelte den Kopf. All das war Vergangenheit, die guten und die weniger guten Dinge. Wichtig war jetzt nur, daß er sie endgültig als seine Frau akzeptierte.
Das Lachen beim Anblick seiner Schwester, die in der Eingangshalle auf Alexandra saß und ihr die beiden Arme über den Kopf hielt, war ihm bald vergangen. Alexandra war außer sich gewesen, Zornesröte im Gesicht. Doch Sinjun hatte sich als die Stärkere erwiesen, und Alexandra hatte hilflos am Boden gelegen. Er hatte vorhin laut gelacht und ihr dabei unverfroren direkt ins Gesicht gesehen. Nun hatte er das Gefühl, daß kein Fünkchen guter Laune mehr in ihm war.
Nur gedrückte Stimmung war zurückgeblieben. Seine Frau war immer noch auf dem Weg der Genesung, doch sie aß nicht einmal genügend, um ihr linkes Bein am Leben zu halten. Er wollte sie ermuntern, mehr zu essen. Sie mußte zu Kräften kommen. Doch da sah er vor seinem geistigen Auge, wie sie das verdammte Tischchen auf seinem Schädel zerschmettern wollte. Um ihm das Tischchen entgegenzuschleudern, hatten ihre Kräfte zweifellos gereicht. Innerlich seufzend, blickte er zu Melissande hinüber, gegen deren Schönheit alle anderen verblaßten. Er kaute in Gedanken vertieft und verfiel von Minute zu Minute in eine gedrücktere Stimmung.
Schließlich brach Sinjun das Schweigen und bemerkte fröhlich: »Ach, ist das nicht nett! Wir alle hier so zahlreich versammelt. Wie schön, dich kennenzulernen, Melissande. Da wir ja verwandt sind, macht dir meine vertraute Anrede nichts aus?«
Melissande hob ihr makelloses Gesicht, streifte das aufgekratzte junge Mädchen ziemlich desinteressiert mit den Augen und nickte kurz. »Aber nein, ganz und gar nicht.«
Tony antwortete: »Nenn sie Mellie, Sinjun. Liebes, Sinjun ist meine Lieblingscousine!«
»Aber ich bin doch deine einzige Cousine, Tony!«
»Aber nein, es gibt noch drei weitere unverheiratete Cousinen, alle mit hervorstehenden Zähnen, die mit zwanzig Katzen hausen und mir jedes Weihnachten Hausschuhe stricken.«
»Na denn, prost«, sagte daraufhin Sinjun. »Mellie. Der Name gefällt mir.«
Zu Alexandras Überraschung lächelte ihre Schwester sogar.
»Soweit ich weiß, hat man Alex noch niemals zu Boden geworfen und sich auf sie draufgesetzt. Mir sind die Augen fast aus dem Kopf gefallen. Du bist sehr zupackend.«
Zu Alexandras weiterer Überraschung hielt Sinjun zum ersten Mal, seit Alexandra ihr begegnet war - was etwa zwei Stunden her war -, den Mund und senkte den Kopf, nachdem sie ihr einen schuldbewußten Blick zugeworfen hatte.
Als darauf Tante Mildred, eine alte Dame mit eisgrauen Haaren, dürr wie ein Zahnstocher und einem Paar sehr scharfer Augen, mit affektierter Stimme erklärte: »Solche Dinge bin ich nicht gewohnt, Douglas«, war ihm klar, daß es mit dem Frieden am Mittagstisch vorbei war. Er wappnete sich innerlich gegen einen Angriff von Tante Mildred. Lange mußte er nicht darauf warten.
»Dein Onkel und ich kommen mit einer Nachricht von dem Marquess of Dacre, um dir von dem bevorstehenden Besuch seiner reizenden Tochter Juliette Bescheid zu geben, die, wie du weißt, schön und von liebreizendem Wesen ist. Zudem ist sie mit einer reichen Mitgift ausgestattet. Und da sehen wir doch diese Person auf dem Boden liegen und alles drumherum aufgeregt schreien. Übrigens kommt Juliette morgen an. Sie, dessen bin ich mir ganz sicher, hat noch keine Sekunde auf dem Boden liegend verbracht. Insbesondere nicht mit jemanden, der auf ihr sitzt. Du hast alles verdorben, Douglas. Wir haben erfahren, daß du schon mit ihr ferngetraut worden bist und nicht mit diesem entzückenden
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