Die Sherbrooke Braut
verkündete der Lakai.
»Müssen wir einen Knicks machen?« zischte Sinjun, die hinter ihrem Rücken stand, durch die Zähne. »Vielleicht gar ihre Gunst erflehen?«
»Halt den Mund«, mahnte Douglas sie.
Die verwitwete Countess of Northcliffe empfing Juliette überschwenglich. Bald war offensichtlich, daß Lady Juliette nicht nur überaus schön, sondern auch sehr überzeugt von der Wichtigkeit ihrer Person war. Sie wirkte äußerst angetan über ihren Aufenthalt auf Northcliffe Hall - bis zu dem Augenblick, als sie Melissande erblickte. Während sie den unerwarteten Gast anstarrte, erklärte die alte Gräfin: »Nun, meine liebe Juliette, unser Douglas hat sich vermählt. Es war ja so eine Überraschung, aber Sie werden verstehen, daß...«
Lady Juliette sah die alte Gräfin mit großen Augen entgeistert an. Sie fühlte sich blamiert. Der elende Graf hatte einfach geheiratet, ohne vorher sie, Juliette, die schönste junge Dame dreier Grafschaften, gesehen zu haben! In einem Anflug von Ehrlichkeit mußte sich Juliette jedoch innerlich eingestehen, daß diese Melissande, die frischvermählte Frau des Grafen, wahrscheinlich die schönste junge Dame von beinahe ganz England war. Diese Ehrlichkeit wandelte sich umgehend in Feindseligkeit und Haß. Er hatte diese junge Dame schöner gefunden als sie und sie zu seiner Frau gemacht. Das war untragbar. Dieser Schuft. Er verdiente es, von der Schwertspitze ihres Vaters durchbohrt zu werden.
»Wo ist Douglas Ihnen begegnet?« erkundigte sie sich und blickte Melissande direkt in die Augen.
»Er ist mir vor drei Jahren begegnet, als er wegen einer Kriegsverletzung bei irgendeiner Schlacht wieder in England war. Den Namen der Schlacht habe ich vergessen.«
»Oh, Sie haben also aufgrund einer Familienvereinbarung geheiratet? Gab es vorher Verwicklungen?«
Melissande neigte ihr liebreizendes Köpfchen. »Aber nein, wir haben geheiratet, weil wir so wunderbar zusammenpassen.«
»Aber das ist doch unmöglich.«
Douglas und Tony traten gleichzeitig einen Schritt nach vorn. Tony erklärte ohne Umschweife: »Ich fürchte, meine liebe Lady Juliette, Sie haben voreilige Schlüsse gezogen. Melissande ist meine Frau. Alexandra, ihre Schwester, ist die Gräfin von Douglas.«
Ein Moment lastender Stille trat ein, auf die ein heilloses Stimmengewirr folgte. Schließlich übertönte Douglas’ Stimme alle: »Seid bitte alle mal ruhig! Nun, Lady Juliette, darf ich Ihnen meine Frau vorstellen, Alexandra.«
Bei der Vorstellung musterte Juliette Alexandra und fühlte sich erheblich wohler. Mit einem glockenhellen Lachen bemerkte sie: »Ach ja, äußerst charmant, Mylord. Sie scheinen in nur allzu kurzer Zeit eine Frau gefunden zu haben. Das war wohl das Ergebnis einer alten familiären Vereinbarung. Manchmal ist es ratsam, sich Zeit zu lassen. Aber es ist ganz reizend, zu Gast auf Northcliffe zu sein.«
»Ja«, mischte Sinjun sich so laut ein, daß es auch alle hörten, »es stimmt, was Tony gesagt hat. Juliette ist sehr hübsch, aber was das betrifft, kommt sie tatsächlich erst an zweiter Stelle nach Melissande.«
Douglas hätte seiner Schwester am liebsten eine deftige Ohrfeige verpaßt.
Mit bedrückender Gewißheit wurde es Alexandra klar, daß dieser Gast nicht zur festlichen Stimmung beitragen würde.
Sie lächelte, als sie beim Eintreten ins Schloß überhörte, was Melissande Tony zuraunte: »Ist das nicht höchst merkwürdig? Sie mag mich nicht und kennt mich nicht einmal. Tony, ich weiß sehr wohl, daß ich schön bin, aber, nun, Schönheit ist vielleicht nicht alles... na ja, und wenn schon, es gibt noch andere Dinge - wie den Charakter eines Menschen -, die man berücksichtigen sollte, findest du nicht?«
Tony küßte seine Frau vor aller Augen. »Du bist wunderbar, und dein Charakter wird in nächster Zukunft wahrscheinlich deiner Schönheit Konkurrenz machen.«
Sinjun flüsterte Alexandra zu: »Gut, daß Douglas das nicht gehört hat. Tony wägt genau ab, wie er Lob und Beifall verteilt. Er verhält sich sehr geschickt.«
»Entgeht dir eigentlich nichts?«
Sinjun machte ein verdutztes Gesicht. »Natürlich. Aber das hier ist wichtig, Alex, sehr wichtig. Man muß Douglas helfen, die Menschen richtig einzuschätzen.« Sie kicherte wie ein junges Mädchen. »Diese Juliette ist offensichtlich eine dumme Gans. Ich frage mich, ob sie ebenso dumm wie eingebildet ist. Douglas würde viel lieber ihr als mir eine Ohrfeige verpassen.«
»Sei dir da nicht so sicher«,
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