Die sieben Häupter
auf das klebrige, nach Bier und Erbrochenem stinkende Stroh. Es war unmöglich, durch Tischbeine und herabhängende Körperteile den Spitzel zu erkennen. Umgekehrt würde auch Ludger unbeobachtet sein. Er tastete unter seinem Hemd nach dem Päckchen. Vorsichtig zog er es hervor, wickelte das Leder auf. Ein hölzernes Spielzeugpferd. Es streckte die Beine von sich, blickte stumpf aus Augenlöchern. Rillen sollten die Mähne darstellen. Was bedeutete das? Weshalb hatte der Bote ein Spielzeug bei sich getragen?
Von drüben ein Geräusch. Eilig verstaute Ludger das Schnitzwerk wieder im Leder und schob es sich unter das Hemd. Auch er war müde von der langen Reise und den Aufregungen des Tages. Bald fielen ihm die Augen zu. Einmal strich er noch zärtlich über die Saiten der Laute, kaum mehr als ein sanfter Hauch der Fingerspitzen. Weich wehten Töne aus dem bauchigen Körper des Instruments.
Morgenkühle war in den Schankraum gekrochen. Feine Lautenklänge ertönten. Ludger lächelte im Halbschlaf. Lautenklänge. Jemand machte sich an der Laute zu schaffen. Er fuhr in die Höhe, riß die müden Augen auf. Der Spitzel blickte erschrocken zurück und ließ das Instrument fallen. Holz splitterte. Saiten sprangen.
Ein Griff an den Kragen des Jünglings. Ludger riß ihn herab und schlug ihm die Faust ins Gesicht. »Du falscher Bastard! Das wirst du büßen.«
Der Spitzel wand sich frei, wischte sich Blut von der Oberlippe. »Laßt ab von mir«, wimmerte er. »Man wird Euch vor Gericht die Hand abschlagen für die Verletzungen, die Ihr mir zufügt. So geht das Gesetz.«
Ludger stand auf, krallte die Hand in das Wams des Jünglings, zerrte ihn auf die Füße und versetzte ihm einen Hieb in den Bauch. »Wo ist die Narbe, die Ihr dem Richter zeigen wollt?«
»Bitte …«, ächzte Konrad.
»Ihr wollt mir nachspüren? Mich aufhalten, mich ausliefern? Das wird nicht geschehen. Ich fordere Euch zum Zweikampf heraus.«
»Ich lehne ab.«
»Seid Ihr Ritter? Dann sind wir Standesgenossen, und Ihr dürft meine Aufforderung nicht ablehnen. Seid Ihr kein Ritter, so müßt Ihr genauso kämpfen, denn ich, der ich höheren Standes bin, habe Euch aufgefordert. So steht’s im Gesetz, Halunke. Es soll um Leben und Tod gehen.«
»Wo ist der Richter, der uns die Schwerter stellt, die Schilde? Das Gesetz sieht das vor.« Blut rann in zwei Fäden aus Konrads Nase.
»Der Wirt soll der Richter sein.«
»In Ordnung.« Konrad strich sich die Locken aus den Augen. Plötzlich stürmte er vor und rammte seinen Kopf wie ein steinernes Geschoß in Ludgers Magen.
Ludger rang um Atem. Er mußte Zeit gewinnen. Mit aller Kraft stieß er den Jüngling von sich. Konrad stolperte rücklings über eine Bank, griff ins Leere, fiel. Dumpf krachte sein Kopf gegen die Tischkante.
Ein Pilger erwachte und rief nach Bier.
4. Kapitel
Auf dem Weg zum Kloster Nienburg, April 1223
S tiefeltritte hinter ihr, Schnaufen. Geschirr, das vom Tisch fällt und auf dem Boden zerplatzt. Bänke. Sie reißt sie um, wirft sie dem Verfolger in den Weg. Flüche werden ihr in den Rücken gebrüllt. Männer lachen. Auf dem Tisch steht der Wein, mit dem sie die Räuber bewirtet hat, bevor sie lauter wurden und zu grölen begannen. Konrad liegt vergraben hinter der Dorfkirche, der Erdhügel ist noch nicht zusammengesunken. Sie hatten sich den Wein aufgespart, den Wein, der jetzt in den Bäuchen der Räuber schwappt. Sie stößt sich an der Tischkante, taumelt. Nun liegen die Bänke ihr selbst im Weg, sie ist im Kreis gelaufen. Alles dreht sich: Kamin, Fenster, Talglichter, Scherben, Männer, Kamin, Fenster. Bernhard von Aken sitzt da, das Gesicht glüht. Er lacht und kämmt sich mit den Fingern durch den roten Bart. Hilft ihr nicht. Schaut zu, wie einer von seinen Räubern sie um den Tisch jagt. Plötzlich hängt sie fest in einer Pranke. Der Verfolger hat sie, er hält das Kleid umklammert. Sie schreit, windet sich. Leinenstoff reißt. Sie fällt. Von irgendwo stößt etwas Hartes gegen ihren Kopf.
War das nicht schon? Ist das nicht längst Vergangenheit? Sie weiß ja, wie es weitergeht: Bernhard tupft ihr die blutende Stirn, küßt sie und verspricht, sie fortan zu beschützen. Sie riecht den Wein in seinem Atem. Spürt eine Hand im Genick, die sie hält.
Es ist Vergangenheit. Irgend etwas ist geschehen. Da ist eine Stimme, die ruhig mit ihr redet. Und ein nasser Lappen, der ihr über den Mund wischt.
»Warum konnte ich nicht sehen, daß du bist wie ich? Allein. Ohne
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