Die siebte Gemeinde (German Edition)
Reliquienräuber.«
»Reliquienräuber! Pfäh!« Henry de Crién spie vor sich auf den Boden. »Ich kann dieses Wort nicht mehr hören.«
»Ach, Henry«, entgegnete Balduin, »seid Ihr noch immer beleidigt, dass wir einige Eurer Männer hinrichten lassen mussten?«
Henry de Crién ballte wütend seine Fäuste. »Verteufelt noch mal, Balduin. Das waren gute Männer. Sie haben in vorderster Front gegen diese Stadt gekämpft.« Er stand auf und wurde lauter. »Für Euch haben sie gekämpft. Sie hatten es nicht verdient, öffentlich hingerichtet zu werden.«
Balduin schüttelte den Kopf. »Nein, Henry.« Er ließ mit einer gelassenen Geste den Rothaarigen wissen, dass er sich setzen solle. »Viele Tausend Männer haben vor dieser Stadt gekämpft. Viele haben ihr Leben gelassen, und viele werden noch ihr Leben lassen. Wir brauchen Ruhe und Disziplin in dieser Truppe. Wenn es nötig ist, vier Männer hinrichten zu lassen, um diese Ruhe zu bewahren, werde ich es jederzeit wieder tun. Haltet Eure Männer in Zukunft enger an der Leine. Ich werde weitere Ausschweifungen auf keinen Fall dulden.«
»Der Mann, dieser Arusch«, unterbrach Philipp seine Gefährten, »wir haben trotz der erfolglosen Suche einen nützlichen Hinweis erhalten. Unser Informant hat uns erzählt, dass er auf der Suche nach Othon de la Roche ist. Außerdem gibt es einen neuen Anhaltspunkt, bei welcher Familie er sich versteckt haben könnte.«
»Aha, das ist doch schon mal etwas«, freute sich Balduin, und Henry hob interessiert den Kopf. »Wo befindet sich Othon jetzt?«
»Wir haben ihn nach Norden geschickt, um die Grenzen gegen die Griechen zu stärken. Er wird in den nächsten Tagen in Adrianopel eintreffen. Die Griechen proben einen Aufstand in Thrakien und wir sind gehalten, Thessaloniki zu verteidigen. Außerdem rühren sich dort die Bulgaren unter Kalojan. Es wurden Truppenbewegungen entlang der Grenze gemeldet.«
»Schickt eine Mannschaft hinter Othon her. Notfalls begleitet sie. Eine unterstützende Truppe sowie etwas Taktikschulung könnten Othons Männer durchaus guttun. Die Griechen sollte man nicht unterschätzen, und sucht unterwegs nach diesem Arusch. Wo soll der schon sein?« Balduin machte eine eindeutige Handbewegung, die zum Gehen auffordern sollte. »Und in der Zwischenzeit findet diese Familie, die es wagt, sich gegen das Lateinische Kaiserreich zu stellen. Von mir aus statuiert ein Exempel an ihnen.«
»Warum muss ausgerechnet ich dich begleiten?« Viktorianah schaute angewidert auf den steifen Körper des Schreiners, den Arusch bei Einbruch der Dunkelheit über einen Gaul geworfen hatte. »Du könntest doch genauso gut Pardus mitnehmen.«
»Wir werden weniger auffallen, wenn wir als Mann und Frau durch die Straßen laufen«, antwortete Arusch. Unterdessen bedeckte er die Leiche mit einem Tuch. »Zwei Männer in der Dunkelheit könnten eher von einer Straßenkontrolle aufgegriffen werden.«
Nachdem die Nacht hereingebrochen war, machten sich Viktorianah und Arusch auf den Weg. Sie ließen sich vorher von Nazares die genaue Wegbeschreibung geben, da sie ohne ein zusätzliches Licht gehen wollten. Nazares hatte sich zwar mehrmals angeboten sie zu begleiten, doch hatte Arusch energisch abgelehnt. »Du bist mir zu emotional bei der Sache«, meinte er. »Es wird besser sein, wenn du dich heute Abend erst einmal beruhigst. Ich werde das mit Viktorianah schon schaffen.«
Arusch hielt sich den gesamten Weg eng am Gaul fest. Zum einen wollte er ein nervöses Ausbrechen des Pferdes verhindern, zum anderen musste er darauf achten, dass Georgios nicht herunterfiel und über die Straße rollte. Viktorianah lief einige Schritte vor ihm. Der Weg war ihr zwar bekannt, doch hatte sie ihn noch nie in vollkommener Dunkelheit bewältigt. Arusch war froh, sie mitgenommen zu haben, da er zwischenzeitig die Orientierung verloren hatte. Zwischen all den engen Gassen wäre er mehrere Male falsch abgebogen. Selbst auf den Mond, der ihm auf seiner Reise als hilfreiche Lichtquelle gedient hatte, konnte er sich nicht verlassen. Er war von einer dicken Wolkenschicht verhangen.
In einer steil ansteigenden Straße konnte sich Arusch wieder erinnern. Es war dieselbe, in der sie sich vor den Soldaten zwischen zwei Häusern hatten verstecken müssen.
»Dort oben müssen wir nach rechts«, flüsterte er Viktorianah zu, die zustimmend nickte.
Vor der Werkstatt ließ Arusch Viktorianah am Pferd zurück, um mit seinem Schwert das Haus zu untersuchen.
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