Die Siechenmagd
männlichen Kranken, um Ulrich Neuhaus die Kleidungsstücke zu bringen. Ein feiner Eisregen hat eingesetzt. Kein gutes Reisewetter, denkt sie sich. Die Wege werden glatt und rutschig sein und man kommt nur langsam voran. Schnee an Ostern, das kann auch nur mir passieren! Schon seit Tagen geht sie immer wieder ihren Fluchtplan durch, und je näher die Durchführung rückt, desto stärker wird ihre innere Anspannung. Nur ruhig Blut!, ermahnt sie sich selber, bevor sie die Tür öffnet. Bedächtig und mit neutralem Gesichtsausdruck betritt sie die Wohnstatt ihres Dienstherrn. In der Stube ist es angenehm warm. Neuhaus sitzt auf der Ofenbank und trinkt heißen Würzwein.
„Da ist sie ja endlich, meine Maria. Zeig her, was du mir bringst!“, begrüßt er die Eintretende und reißt ihr ungeduldig die Kleidungsstücke aus den Händen.
„Schrecklich, schrecklich, dass man nun in so etwas einhergehen muss, damit nur gleich jeder sieht, da kommt ein Aussätziger, geht bloß auf Abstand! Denn man will sich ja schließlich nicht anstecken. Genau davor habe ich mich früher auch immer gefürchtet, und wenn mir die weiße, klappernde Schar irgendwo in der Stadt entgegenkam, hab ich sofort kehrtgemacht. Na, ich freu mich trotzdem, dass ich morgen endlich mal hier raus darf, wenn auch nur für ganze sechs Stunden, denn zur Mittagszeit müssen wir ja wieder zurück sein. Dass unsereiner mal mit der Klapper betteln gehen muss, hätt ich auch nicht für möglich gehalten! Hoffentlich erkennt mich niemand. Naja, dafür hat man ja den breitkrempigen Hut hier, den man sich in die Visage ziehen kann. Der ist extra so gemacht, damit die Gesunden unsere entstellten Fratzen nicht sehen müssen. Betteln dürfen wir ja nur auf der Brücke, aber es ist uns sogar erlaubt, Familienangehörige zu besuchen. Wie die sich freuen werden, meine Leut, die können es gar nicht abwarten! Ich hab ihnen ja geschrieben, dass ich am Karfreitag Ausgangstag habe und sie gerne besuchen würde. Den Brief haben sie bis heute noch nicht beantwortet. Na, ich denke, ich werde trotzdem mal vorbeischauen. Den Gefallen tu ich denen nicht, dass ich wegbleibe. Die such ich heim, das treulose Pack, mit lautem Gezeter und Geklapper, damit die feine Nachbarschaft auch ja alles mitkriegt. Den Spaß mach ich mir, so einfach kommen die mir nicht davon. Da wollen wir doch mal sehen, ob morgen die Türen von meinem eigenen Stadthaus für mich verschlossen bleiben!“, ereifert sich Neuhaus und lacht grimmig. „Und ins Frauenhaus oder in eine anständige Gastwirtschaft kann ich auch nicht gehen, denn uns ,Sondersiechen’ ist ja der Zutritt dort verboten. Naja, aber ich denke, ich sollte mich trotzdem etwas frisch machen, es soll ja nicht noch heißen, man würde stinken. Also, lauf schnell rüber zu Gottfried und sag ihm, er soll heißes Wasser bereiten, denn ich will nachher noch ein Bad nehmen“, wendet sich Neuhaus an Mäu und lacht neckisch.
Mäu schreckt zusammen. Auch das noch, denkt sie und macht sich auf den Weg zur Behausung des Schellenknechts.
Die kleine Badekabine ist von Dutzenden Kerzen beleuchtet, es duftet nach Lavendelblüten, die überall verstreut auf dem Boden liegen. Neuhaus sitzt in einem großen, hölzernen Badezuber, auf dem dampfenden Wasser schwimmen getrocknete Rosenblätter. Er fordert Mäu auf, ihm noch etwas von dem wohlriechenden, teuren Sandelholzöl ins Badewasser zu gießen. Auf einem schwimmenden Holztischchen stehen vor ihm verschiedene Speisen und sein Weinbecher.
„So, und wenn du mir jetzt noch von dem Wein nachschenkst und mir nachher die verspannten Schultern massierst, bin ich fürs Erste zufrieden.“ Neuhaus seufzt vor Wohlbehagen, während er sich mit einem Schwamm den Körper abreibt. Mäu nähert sich mit dem großen Zinnkrug und füllt sein Trinkgefäß auf. Nachdem sie den Krug wieder auf das Wandbord zurückgestellt hat, nestelt sie mit zitternden Händen die kleine Theriak-Phiole aus ihrer Kitteltasche hervor und gießt den gesamten Inhalt in den Rotwein. Der nächste Becher wird dir besser schmecken!, denkt sie bösartig. „Ach, was war das immer so vergnüglich, wenn unsere Stubengesellschaft ihren Bade tag abgehalten hat! Wir hatten dann die ganze Badestube am Knäbleinsborn für uns in Beschlag genommen und hatten dazu immer die süßesten Hübscherinnen Frankfurts eingeladen. Die feinsten Speisen wurden aufgetragen, da biss man in den Hühnerschenkel und amüsierte sich gleichzeitig mit einer strammen
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