Die Siedler von Catan.
Stimme hinter ihnen entschieden.
Alle fuhren herum.
»Schließt die Grube«, wiederholte Inga. »In alten Zeiten war es üblich, dass ein treuer Hund, ein Ross oder gar eine ergebene Sklavin mit einem Toten von hohem Rang verbrannt oder begraben wurde. Es ist schon recht so. Rührt sie nicht an, aber begrabt sie mit ihr.«
Niemand antwortete. Alle starrten die junge Frau an, hier und da stand gar ein Mund offen. Inga trug ein schlichtes, weißes Gewand ohne alle Stickereien, nur um den Hals hatte sie eine Lederschnur mit einem goldenen Thorshammer daran. Sie sah sehr erhaben aus. Doch nicht das war der Grund, warum die Menschen sie so voller Ehrfurcht und Staunen betrachteten, sondern die Vögel. Inga trug drei weiße Raben. Zwei hockten links und rechts auf ihren Schultern, einer auf ihrem linken Unterarm, genau wie Brigitta ihre Raben getragen hatte. Doch Brigittas Raben hockten dort unten in der Grube, außerdem war einer davon schwarz. Diese drei hatte Inga offenbar während der zwei Tage gezähmt, die sie im Wald verbracht hatte. Dabei wusste jeder, dass es vollkommen unmöglich war, die weißen Catanraben zu zähmen. Sie waren scheu und mieden die Menschen. Niemand außer der Priesterin brachte das fertig …
Harald fasste sich als Erster. Er räusperte sich, ehe er respektvoll sagte: »Sehet das Zeichen. Ich schätze, damit ist die Frage nach Brigittas Nachfolge beantwortet, oder?«
Er schaute zu Sigurd. Der junge Schiffsbauer senkte den Blick und nickte.
Osmund ging seiner Frau entgegen, nahm ihre rechte Hand und führte sie ans offene Grab. Die Cataner bildeten eine Gasse, um sie durchzulassen. Schweigend blickten Osmund und Inga auf die Tote und ihre prächtigen Beigaben hinab.
Inga nickte zufrieden. »Es ist recht so«, bekundete sie und trat zurück, damit die Männer die Grube schließen und den Grabhügel aufschütten konnten.
Sie wandte sich an Jared, der schon mit der Schaufel in der Rechten bereitstand. »Öffne deine Hand«, bat sie ihn.
Wie ein Traumwandler folgte er der Aufforderung und streckte die Linke aus.
Sie ließ ein paar kleine Samenkörner hineinrieseln. »Streu sie auf den Hügel, wenn ihr fertig seid.«
Jared nickte. »Ist gut.« Er betrachtete die kleinen, graugrünen Körner neugierig. »Was ist es?«
»Wasserschierling«, erklärte sie. »Er schützt die Ruhe der Toten vor Druden und bösen Flussgeistern.«
»Bestimmt«, raunte Austin Siglind zu. »Aber er ist sehr giftig für Mensch und Tier.«
Inga hatte ihn gehört. Sie wandte den Kopf und sah ihn an, lange und unverwandt.
Er musste feststellen, dass ihm die junge Hexe mit ihren drei schneeweißen Raben ebenso unheimlich war wie die alte. Aber er erwiderte ihren Blick scheinbar gelassen; er lächelte gar ein wenig, wenngleich es ihn Mühe kostete. Der Fanatismus, der in Ingas Augen loderte, stand dem seinen in nichts nach, und er wusste, er machte einen
Fehler. Es wäre weiser und Gottes Sache dienlicher, wenn er jetzt, dieses eine Mal, Demut zeigte. Wäre es ein Mann gewesen, mit dem er sich hier maß, hätte er es getan. Doch so war es unmöglich.
Mit Booten und Flößen kehrten die Cataner auf die Tempelinsel zurück, wohin die Sklaven inzwischen die Opfertiere gebracht hatten. Candamir hatte seinen schönsten Jungbullen für diesen feierlichen Anlass ausgewählt, doch er konnte ein leises Seufzen nicht ganz unterdrücken, als er dem Bullen, der ihn treuherzig und ahnungslos anschaute, die stämmige Schulter klopfte. »Nichts für ungut, mein Junge …«
Nils stand an seiner Seite, spielte nervös mit den Fingern an dem Blumenkranz, den die Sklavinnen dem Bullen gebunden hatten, und flüsterte erstickt: »Bitte, Vater, tu’s nicht.«
Kopfschüttelnd sah Candamir auf ihn hinab. »Das haben wir alles schon ein Dutzend Mal besprochen. Es muss sein, und ich meine, es wird Zeit, dass du mit diesem albernen Getue aufhörst. Du kannst nicht jedes Mal in Schwermut verfallen, wenn wir ein Tier schlachten, Nils, denn wir müssen essen.«
»Ich weiß.«
»Na also.« Er hockte sich vor seinen Sohn ins Gras und zog das Amulett hervor, das unter der Kleidung um den kleinen Hals hing und das Antlitz des einäugigen Gottes zeigte. »Hier, schau ihn dir an.«
Folgsam nahm Nils das Bildnis in die Hände und betrachtete es mit einem beinah andächtigen Lächeln. »Odin.«
Candamir nickte und legte seinem Sohn die Hände auf die Schultern. »Er hat uns auserwählt. Und dich ganz besonders, denn du warst der Erste, der in
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