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Die Signatur des Mörders - Roman

Titel: Die Signatur des Mörders - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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Musik zu einem Ballett, das von alten Männern handelt.« Sie machte eine kurze Pause, in der Ron und Henri sie misstrauisch anblickten. »Alte Männer, die dem Todestanz eines jungen Mädchens zuschauen, bevor es geopfert wird. Kann das ein Zufall sein?«
    »Zufall ist nur eine Verkettung von losen Handlungssträngen einer Geschichte, deren Zusammenhang uns unerklärlich erscheint.« Henri nahm Ron die CD aus der Hand.
    »Auch in unserem Fall haben wir ein tanzendes Mädchen«, widersprach Myriam, »ein Mädchen, das sich zu Tode tanzte, und das Ganze passierte im Frühling. Der Zusammenhang ist offensichtlich.«
    Ron sagte: »Auge um Auge. Zahn um Zahn. Das war eine klare Regel. Manchmal sehne ich mich danach zurück.«
    Die Stimmung im Raum schlug plötzlich um. Die Zigarette war ausgegangen. Die Fliege ließ sich auf dem Kaugummi nieder.
    Plötzlich verstand Myriam. Es war nicht der Raum, den Ron Gummizelle nannte. Er brachte damit vielmehr sein Gefühl der Ohnmacht zum Ausdruck, seine Angst, eine Tat nie aufklären zu können. Er fürchtete, nach Monaten, nach Jahren den Aktendeckel schließen zu müssen, ohne den Täter gefunden zu haben.
    Dazu die Panik, die einen am Anfang eines solchen Falles überfällt, weil man nicht weiß, wo man ansetzen soll, während die Zeit rast. Ein Mensch konnte nicht begraben werden, solange man nicht verstand, warum er sterben musste.
    Man lief gegen die Wände des eigenen Verstandes.
    Wieder und immer wieder. Wie in einer Gummizelle.
    Plötzlich glich der Blick aus dem Fenster nicht länger dem auf den Innenhof eines Gefängnisses, stattdessen nahm Myriam wahr, dass die Sonne schien. Vier Stockwerke unter ihnen blühten die ersten Tulpen und Hyazinthen. Es war Mai, und sie hatte es nicht bemerkt.

14
    Jess hatte nicht wie versprochen auf Helena aufgepasst, und nun war es zu spät. Sie bückte sich, um einen Stein aus den roten Plateauschuhen zu fingern. Plötzlich sah sie ordentlich geschnürte Turnschuhe vor sich. Sie blickte hoch und stellte fest, dass vor ihr ein junger Mann um die dreißig stand, der sie zugleich abwartend und schüchtern anstarrte. Sie richtete sich auf und rückte das silberne Top über dem schwarzen Rock gerade.
    Der junge Mann trug sein weißes Noname-Shirt in einer Hose, die vom Gürtel auf den etwas breiten Hüften gehalten wurde. Ansonsten war alles an ihm schmächtig. Seine Haare, die vermutlich einmal blond gewesen waren, zumindest vermutete Jess das, zeigten Löcher wie von Motten zerfressen. Seine Haut hatte seit Monaten kein Licht gesehen. Und er blinzelte auch jetzt hinter seiner Brille in die Sonne, als könne er die Helligkeit nicht ertragen.
    Von Weitem beobachtete Jess Alex, der mit seinen Aidshandschuhen eine Plastiktüte aus einer Mülltonne fischte und sorgfältig untersuchte. Der Verräter hatte mit der Polizei gesprochen.
    Nachdem sie gestern den ganzen Abend in der Wohnung auf und ab gegangen war, hatte sie sich entschieden, diesen Morgen ihren Platz vor der Stehkneipe einzunehmen, die genau gegenüber von Helenas Wohnung lag. Hier nun hatte dieser Grünschnabel sie gefunden.
    »Was willst du von mir?«, seufzte sie ungeduldig und wusste gleichzeitig, dass er der Typ war, dem man ständig Mut machen musste.
    »Ich …«
    »Sollen wir es in deinem Auto machen?«
    »Ich hab keins.«
    »Du hast keines. Was jetzt?«
    »Wolf«, stotterte er.
    »Was?«
    »Wolf. So heiß ich.«
    »Wolf«, wiederholte Jess und lachte kurz auf. »Der Name für’nen Supermann. Aber Namen interessieren mich nicht.«
    »Ich habe einen Freund«, begann er stockend, »der hat mich hergeschickt. Eigentlich kein Freund. Mehr so … na ja … wir schreiben uns manchmal, im Internet.«
    O Gott, der stank nach Knoblauch. Er war genau der Typ, der sich Fertigpizza in den Ofen schob, um diese dann vor dem Bildschirm zu essen. Einer von der Sorte, der nicht hinschaute, was er aß, der die Pizza auch tiefgefroren hinunterschlingen würde, wenn man sie ihm direkt vor dem Computer servierte.
    »Er hat dich zu mir geschickt?« Jess fixierte ihn ungläubig. Sie konnte nicht glauben, dass die Typen jetzt schon im Internet über sie sprachen und Erfahrungen austauschten. Sie bevorzugte die Anonymität. Wollte nicht, dass sie sie kannten und ihre Adresse weitergaben. Sie war zu alt für diesen Scheiß. Sie suchte sich ihre Freier selbst aus. Sie wollte sehen, mit wem sie es zu tun hatte.
    »Er meinte, du schickst manchmal … na ja, du hättest eine Freundin. Die ist Tänzerin

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