Die Silberdistel (German Edition)
und ich den Jungen immer mit, und bald war ihm der Duft von frischgepflückter Kamille so bekannt wie einem Bauernjungen Kuhdung. Der einzige Schatten in diesem langen, glücklichen Sommer war der, daß ich nichts von Jerg hörte. Seit der kurzen Nachricht des häßlichen Bettlers, durch die ich nicht mehr erfahren hatte, als daß Jerg lebte, hatte ich nichts mehr von ihm gehört. Welche Freude hätte Find ihm bereitet! Doch allzuviel Zeit zum Grübeln blieb mir zwischen meiner Arbeit an den Strohschuhen und den Arbeiten für die Burg nicht. Jost erfand immer neue Aufgaben für uns, und manchmal schien es, als würden wir für die Burg mehr ackern als für uns selbst.Dennoch gaben wir nicht klein bei: Mehr als einmal beschwerten wir uns lautstark. Einmal erwischte er uns dabei, wie wir ein Lied sangen, das uns ein vorbeiziehender Händler beigebracht hatte: »Als Adam grub und Eva spann, wo war da der Edelmann?« Natürlich nahm Jost ein solches Verhalten nicht klaglos hin, doch im großen und ganzen kamen wir glimpflich davon. Was hätte er auch gegen ein ganzes Dorf tun sollen? Da er uns nicht alle in den Turm werfen konnte, beschränkte er sich darauf, einzelne zu bestrafen, wobei es mich öfter als alle anderen traf. Obwohl er mir nichts nachweisen konnte, sah er mich als die heimliche Aufwieglerin an. Und daß ich Jergs Weib war, trug wahrscheinlich ein weiteres dazu bei. Doch mochte er mich noch so viele Latrinen und noch so viele dunkle Kellergewölbe putzen lassen – ich trug es mit Fassung. Wenn die Arbeit gar zu grauslig war, ließ ich Find bei Asa. Der Gedanke, am Abend mein Kind wieder in die Arme schließen zu können, half mir, auch die schwerste Mühsal zu überwinden.
Die Menschen begannen, Jost mit einer glühenden Besessenheit zu hassen. Für sie war er der Leibhaftige selbst. Jost tat gut daran, in dunklen Nächten und auf einsamen Wegen niemals ohne seine Soldaten zu erscheinen, denn selbst der bravste Mann wäre bereit gewesen, den Burgverwalter mit seinen bloßen Händen zu erwürgen oder ihn mit einem Knüppel totzuschlagen. Doch Jost wußte, daß er im Schutz der Burg und der Soldaten sicher war. Die Zeit verging, ohne daß jemand seinem bösen Treiben ein Ende gemacht hätte. Herzog Ulrich schien Taben völlig vergessen zu haben und in anderen Gefilden zu wildern. Fast ein ganzes Jahr war er nicht mehr auf der Burg gewesen, worüber niemand im Dorf unglücklich war, bedeuteten die herzöglichen Besuche doch nur noch mehr Arbeit und Mühsal.
12.
Im Herbst des Jahres 1518 schien es dann, als wolle der Herzog aufholen, was er lange Zeiten versäumt hatte: Einmal blieb er für eine ganze Woche auf der Burg, ein anderes Mal nur für eine Nacht, und Mitte Oktober lud er zur großen Jagd, woraufhin das halbe Land seinem Ruf zu folgen schien. So viele Gäste hatte die Burg noch nicht gesehen, und wieder einmal waren die Frauen des Dorfes auf die Burg beordert worden, wo sie in der Burgküche helfen mußten, statt ihre eigene Suppe zu kochen.
Die große Jagd war vorbei, die meisten Besucher auf ihren Rössern oder in ihren Kutschen schon wieder abgereist, als es plötzlich in allen Gassen tönte:
»Ein Unfall ist passiert! Im Wald liegt ein Toter! Ein Unfall! Der Herzogsg’sell ist tot! Tot!«
»Wer ist tot? Der Herzog?«
»Was ist denn geschehen?«
Überall öffneten sich Türen, neugierige Gesichter linsten hervor. Völlig aufgelöst stand draußen eine Handvoll Bauern, die nicht recht wußten, wohin sie mit ihren aufregenden Neuigkeiten sollten. Auf Josts Geheiß hatten sie die Tische und Bänke im Wald abgebaut, die den Jagdgesellschaften zur Rast gedient hatten, als sie plötzlich … Bereitwillig erzählten die Bauern, daß sie im Wald nahe bei der Burg eine Leiche gefunden hätten und daß es kein Geringerer als der herzögliche Stallmeister sei, Hans von Hutten. Hinterrücks erstochen worden sei er, der Degen steckte im Boden neben der Leiche, und – darauf konnte sich keiner der Männer einen Reim machen – um den Degen und den Kopf des Toten war ein Gürtel geschlungen worden.
»Ein Gürtel? Heiliger Vater im Himmel, was hat das zu bedeuten?«
»Der Stallmeister tot? Wer mag der Mörder sein?«
Aufgeregt redeten die Dorfbewohner durcheinander, dennschließlich geschah ein Mord nicht alle Tage, dem Himmel sei Dank!
»Das ist ein Fememord! Der Gürtel und der in die Erde gesteckte Degen sind Teil eines alten Brauches unter Adligen. Der Mörder will damit sagen, daß der Tote
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