Die Silberdistel (German Edition)
deine Tochter selbst zuviel gebechert und wußte nicht mehr, was sie tat?‹ antwortete der ganz frech und schickte den Ritter, dem er seit Jahren seine Ländereien neidete, wieder nach Hause. Auch der Schultheiß und der Büttel gaben ihm eine ähnliche Antwort, keiner wollte an die Unschuld des Mädchens glauben. Für die Amtspersonen waren statt dessen die Männer unschuldig. Doch mit dieser Art von Gerechtigkeit konnte der alte Ritter nicht leben: Er ritt drei Tage und drei Nächte lang, dann hatte er die Missetäter eingeholt. Nachdem sie auf einer Waldlichtung ihr Nachtlager aufgeschlagen und sich zur Ruhe gelegt hatten, tötete der alte Ritter einen nach dem anderen. Als die Leichen der Männer gefunden wurden, hing um den Kopf eines jeden ein Gürtel, und in die Erde dazwischen war ein Dolch gerammt. Somit war die Untat der Männer gesühnt worden! Doch nichts in der Welt hätte das frühere, stille Glück der beiden wieder herstellen können, und es dauerte kein Jahr, bis der Vater an gebrochenem Herzen starb und die Tochter allein zurückließ.«
Es hätte nicht viel gefehlt, und ich hätte losgeheult. Dochirgend etwas ganz tief drinnen sagte mir, daß ich mich mit meinem Mitgefühl zurückhalten mußte, wollte ich den kostbaren Schatz, Asas Vertrauen, nicht zerstören.
»Ja, so war das. Ein Fememord mag zwar eine Ungerechtigkeit sühnen, doch glücklich macht er den Femerichter nicht. Wer es auch war, der Hans von Hutten hinterrücks ermordet hat – glücklich wird er dabei nicht werden.«
Ich mußte an die Unterhaltung zwischen Hutten und Herzog Ulrich denken, die ich ein Jahr zuvor im Wald belauscht hatte. Zwei Männer und ein Weib … mir kam ein fürchterlicher Gedanke.
»Und was, wenn alles nur eine Verwechslung war? Vielleicht wollte der Mörder gar nicht den Stallmeister, sondern den Herzog töten? Oder vielleicht war der Herzog sogar selbst der Mörder, der Hutten aus Eifersucht umbrachte?«
»Dieser Mord wird sicherlich auf das Genaueste untersucht, da kannst du sicher sein! Du glaubst doch nicht, daß der herzögliche Hof sich mit Karl Scheufeles Ansichten zufriedengibt? Die wollen ganz genau wissen, wer ihresgleichen auf dem Gewissen hat!«
Die nächsten Tage war im Dorf nichts mehr, wie es sein sollte. Seltsame Gerüchte machten die Runde, um von immer noch seltsameren Geschichten abgelöst zu werden. Doch eine Weisheit wurde hartnäckig immer wieder genannt: nämlich, daß der Herzog selbst der Mörder sei. Wegen irgendeines Weibes sei’s geschehen, tuschelte man sich hinter vorgehaltener Hand zu. Mir persönlich erschien dieser Gedanke keineswegs unmöglich, doch dann schalt ich mich wegen meiner Verdächtigung. Was bedeutete schon das, was ich im Wald gehört hatte? Wahrscheinlich hatte ich mir die Hälfte davon nur eingebildet und die andere Hälfte falsch verstanden.
Es dauerte keine zwei Tage, bis eine Untersuchung des Mordes in vollem Gange war. Unentwegt ritten Boten zur Burg hinauf und wieder hinab ins Tal, und schnell war eingutes Dutzend Amtsmänner aus Stuttgart angereist, die hektisch in ihren Papierrollen blätterten und nach einer Klärung des Verbrechens suchten. Jeder wurde verhört, vom niedrigsten Schankbuben bis hinauf zum herzöglichen Diener: Alle mußten berichten, was sie in den Tagen vor Huttens Tod beobachtet hatten. Sogar Scheuffele, unser Dorfbüttel, wurde wegen einer Befragung auf die Burg zitiert. Und während er so dasaß und darauf wartete, endlich an die Reihe zu kommen, geschah eine weitere Ungeheuerlichkeit, die er später jedem, der es hören wollte, eingehend schilderte.
»Du da, Weib! Willst du wohl einmal hierherkommen?« hatte einer der untersuchenden Richter plötzlich gerufen und dabei auf Sureya gedeutet, die nur kurz in den Raum gekommen war, um Jost etwas ins Ohr zu flüstern. Wie zu Stein erstarrt war sie wohl stehen geblieben und hatte erst dann einen zaghaften Schritt nach vorne gemacht, nachdem Jost ihr einen Stoß in die Seite versetzt hatte. Der Richter, ein kleiner, kräftiger Mann, auf dessen Haupt eine Glatze speckig glänzte, ging musternd um sie herum. Dabei schüttelte er fortwährend den Kopf. Er packte Sureya am Arm, drehte sie nach links, dann nach rechts, er betrachtete sie von der Seite. »Die Nase … die langen Wimpern, doch ja, die Haare – die sind anders, aber die Wangen … zweifellos!« Jost war wohl anzusehen, was er davon hielt, daß ein anderer sein Weib so befingerte. Doch mit viel Selbstbeherrschung blieb er
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