Die Silberdistel (German Edition)
auf seinem Platz an der Türe sitzen.
»Das ist sie! Die Mörderin! Ich habe keinen Zweifel!« Laut und deutlich waren des Richters Worte zu hören. Ein ungläubiges Raunen ging durch den Saal. Was war in den Richter gefahren? Mit einem Satz waren die anderen Richter aufgesprungen und hatten sich um Sureya versammelt.
»Das Weib – die Mörderin von Hutten?«
»Verehrter Kollege, ich muß schon sagen … Wie soll das Frauenzimmer den Hutten ermordet haben?«
Verständnislos hatte der Angesprochene vom einen zumandern geblickt. Daß ihm jemand bei seinen Gedankensprüngen nicht folgen könne, darauf war er wohl nicht gekommen.
»Wieso Hutten? Ich rede nicht von Hutten! Das hier ist die Mörderin von Maulbronn!«
Danach brach natürlich die Hölle los! Alle fingen gleichzeitig an zu reden, zu schreien, der Richter wurde mit tausend Fragen bestürmt, niemand verstand mehr sein eigenes Wort. Jost stand nur da und schaute fassungslos drein. Gerade eben war man noch auf der Suche nach Huttens Mörder gewesen, und nun kam einer daher und beschuldigte sein Weib eines anderen, ebenso schlimmen Verbrechens. War denn die ganze Welt verrückt geworden?
Dieses Tollhaus hatte Sureya genutzt, um sich loszureißen und aus dem Saal zu rennen, als wäre der Leibhaftige selbst hinter ihr hergewesen. Doch nichts und niemand konnte ihr helfen, ihrem Schicksal zu entrinnen. Wen die herzöglichen Richter erst einmal ins Visier genommen hatten, der sollte nicht mehr entwischen. Und es dauerte nicht lange, bis Sureya in Ketten gelegt von einem halben Dutzend Soldaten vorgeführt wurde. Nun, da die Menge Blut gerochen hatte, schien der arme Hutten völlig vergessen zu sein. Der Herzog selbst war es, der eine genaue Untersuchung der Tatbestände für den kommenden Tag anordnete. Wie muß er seinem Herrgott für diese Ablenkung von seinen eigenen Schandtaten gedankt haben! Und da es sich um eine Dörflerin handelte, sollte diese Untersuchung auf dem Dorfplatz, unter unser aller Augen, stattfinden …
Mehr wußte Scheufele nicht, mochten ihn die Dorfbewohner auch noch so mit ihren Fragen löchern. Keiner konnte sich einen Reim auf »die Mörderin von Maulbronn« machen, dennoch wußte jeder etwas dazu zu sagen. Für die einen stand sofort fest: Sureya war eine Hexe, die wohl mehr als eine Seele auf dem Gewissen hatte. Andere wiederum mochten zwar das Hexengerede nicht völlig abtun, abervielleicht war sie auch eine gesuchte Räuberin und Wegelagerin? Oder eine Zigeunerin – man denke doch nur an ihren seltsamen Namen! In welches Gesicht man auch schaute, ein seltsames Frohlocken strahlte einem entgegen. Endlich sollte ein einziges Mal Gerechtigkeit gesprochen werden. Hatte Sureya die Menschen im Dorf nicht jahrelang gepeinigt und ihnen mit ihren maßlosen Fronforderungen Schaden zugefügt?
»Seltsam, keiner scheint an Sureyas Schuld zu zweifeln. Für die Leute steht heute schon fest, wie die Untersuchung morgen ausgeht!« Mir machte der abgrundtiefe Haß der Dörfler Angst. Auch ich konnte Sureya beileibe nicht ausstehen und würde ihr niemals verzeihen können, was sie meiner Familie angetan hatte. Aber ihr deshalb gleich den Tod zu wünschen? Sie als Mörderin zu verurteilen?
»So sind die Menschen nun einmal. Sie glauben, was sie glauben wollen! Ein Herzog ein Mörder? Das ist schwer zu verdauen. Aber eine Hure eine Mörderin? Das klingt schon anders! Damit können die Menschen leben.«
»Sag, du warst doch schon in Taben, als Sureya hierher kam. Weißt du, von wo sie kam?«
»Ich weiß gar nichts über die Hure. Eines Tages stand sie mit ihren beiden zerlumpten Kindern da und fragte mich, ob in der Hütte nebenan jemand hauste. Nein, habe ich geantwortet. Der alte Mann, der dort gelebt hatte, war im Winter zuvor gestorben, und seitdem wollte niemand etwas von der alten Bruchbude wissen. Und dann ist sie eingezogen. Natürlich hat sich sehr schnell herumgesprochen, daß da eine junge Frau allein mit ihren Kindern lebt. Ein paar von den Weibern im Dorf sind vorbeigekommen und wollten sie beäugen und nach dem Rechten sehen. Doch Sureya wollte nichts wissen von den Frauen im Dorf. Dafür hatte sie es um so mehr auf deren Männer abgesehen …«
Am nächsten Morgen um elf Uhr hatte sich das ganze Dorf auf dem Dorfplatz versammelt. Asa und ich warengenauso neugierig wie alle anderen, was es mit Sureya nun auf sich hatte. Wir standen ein wenig abseits, während in der Mitte des Platzes wieder einmal eine Plattform errichtet
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