Die Silberdistel (German Edition)
gelegenen Gemeinde, hatten Bauersleute, so hieß es, den dortigen Markgrafen samt Weib aus dem Dorf gejagt und hausten jetzt selbst auf dessen Schloß. Ein Reisender hatte berichtet, daß die Bauern im Schurwald neuerdings auf die Jagd gingen und sich ihr Brennholz holten, wo und wann immer sie welches benötigten. An den Flüssen und Bachläufen im ganzen Land sah man Männer Löcher in die eisverkrusteten Ufer hacken und Netze auslegen. Der Geruch von Räucherfisch und Wildschweinschinken hing in den engenGassen wie einstmals der Gestank von Gülle und Unrat. Anderswo hatten Dorfbewohner ihren ungeliebten Pfarrer aus der Kirche geworfen, um einen Ordensbruder ihrer Wahl an dessen Stelle zu setzen. Und ganz in der Nähe hatte das Dorf Trosterdingen damit begonnen, auf dem Land des dortigen Lehnsherren, des Freiherrn von Schönau, neue und bessere Hütten zu bauen. Das Holz, so wurde berichtet, kam dabei aus den Schönau’schen Beständen, genau wie die Ziegelsteine und der Torf.
Auf der Schwäbischen Alb, im Lenninger Tal und auch von weiter her kam die Kunde von Aufständen, Krawallen und Angriffen. Lediglich aus Kirchheim und Umgebung waren keine solche Meldungen zu vernehmen. Kirchheim! Verächtlich dachte Jerg an die Stadt, deren Einwohner in seinen und in den Augen der anderen Dörfer ängstliche Memmen waren. Daß sich die Lehnsherren zur Wehr setzten, Soldaten gegen ihre Untertanen ins Feld schickten, war übrigens von nirgendwo zu vernehmen. Dies mochte wohl zum einen damit zusammenhängen, daß die Adeligen in keiner Weise darauf vorbereitet waren, sich irgendwann einmal gegen ihre Bauern und Leibeigenen zur Wehr setzen zu müssen. Zum anderen gab es genug Soldaten, die nach jahrelanger schlechter Behandlung und kümmerlicher Bezahlung sich schlicht und einfach dagegen wehrten, gegen die Aufständischen zu kämpfen, und sich statt dessen diesen anschlossen. Die Mönche in ihren Klöstern sahen hilflos zu, wie die Bauern eine Burg nach der anderen überfielen, einen Fruchtkasten nach dem nächsten plünderten, und beteten, daß die dicken Klostermauern ihnen noch recht lange Schutz vor den Wildgewordenen geben mochten. Auch Kloster Weil harrte in angstvoller Starre aus. Nach dem Überfall auf die Burg hatte Abt Richard das Kloster wie eine Festung verbarrikadieren lassen und sich mit seinen Ordensbrüdern darin verschanzt. Im Dorf wurden Wetten abgeschlossen, wann sich der erste der Mönche außerhalb der Klostermauern blicken ließe.
Ein paar Wochen lang sah es danach aus, als hätten die Bauern endlich erreicht, wonach sie jahrelang gehungert und gestrebt hatten: das Paradies auf Erden. In jedem Tabener Haushalt gab es genügend Brennholz, die Vorräte der Burg waren groß gewesen. Brabants Rösser, an Jagd und Müßiggang gewöhnt, wurden nun vor den Pflug gespannt und mußten zusammen mit den wohlgenährten Ochsen der Burg die schwere Arbeit der Männer auf dem Felde übernehmen. Zum ersten Mal seit Jahren hatte Asa Zeit, ihre Vorräte zu ordnen, neue Tinkturen, Säfte und Pillen herzustellen. Das gute Essen und die weniger gewordene Arbeit tat den Menschen gut. Kaum einer klagte über Schmerzen im Rücken oder in den Beinen. Selbst der gefürchtete Husten blieb in diesem Winter aus. Die Menschen im Dorf beeilten sich, Jerg zu jeder Gelegenheit ihre Dankbarkeit kundzutun. Dennoch konnte er nicht in den allgemeinen Jubel einstimmen, zu sehr plagte ihn die Sorge, daß ihr so leicht errungenes Paradies auf Erden sehr schnell wieder zur Hölle werden konnte …
9.
»Und Ihr glaubt wirklich, dieser Bauernjörg sei der richtige Mann für uns?« Mit sichtlicher Mühe brachte Erzherzog Ferdinand den Namen über seine Lippen, allein das Wort bereitete ihm Unbehagen. Irritiert blickte er aus dem Fenster, als ob die Antwort auf seine augenblickliche Misere in der kahlen Winterlandschaft zu finden sei. Doch sein Auge fand nichts, was seinen Geist hätte erfreuen können. Die Ahornbäume der Allee standen kahl und reglos wie gebrechliche, alte Greise da, nichts erinnerte an ihre saftige Frische des vergangenen Sommers oder an ihre prallen, glänzenden Früchte im Herbst. Stuttgart im Winter – noch nach Jahrenwar dies für Ferdinand ein fast unerträgliches Los, welches auch durch die unzähligen Bälle, Feste und Jagdausflüge nicht wettgemacht wurde. Mit Sehnsucht dachte er an die Zeiten, da er die langen Wintermonate unter spanischer Sonne mit spanischem Wein und erlauchter Gesellschaft verbringen durfte.
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