Die Silberdistel (German Edition)
verstehen, nicht wahr? Nun, laß mich erklären: Zum ersten Mal sind nicht nur die Bauern, sondern auch die Bürger und Kaufleute bereit, öffentlich gegen das Unrecht anzutreten. Stände also, die viel mehr Macht besitzen als die Bauern!«
Bantelhans hielt kurz inne, um zu schauen, ob seine Worte von Jerg verstanden wurden. Bantelhans sprach ihm eine gewisse Bauernschläue zu, die, gepaart mit einer schnellen Auffassungsgabe und einem flinken Geist, dazu beitrug, daß Jerg auch ohne Bildung im eigentlichen Sinne keinesfalls dumm war! Diese Einschätzung seines Intellekts sowie Jergs umgängliche Art, die ihn bei allen beliebt machte, hatte Bantelhans’ Wahl beeinflußt. Und in der Tat schien es eine glückliche Wahl gewesen zu sein.
»Ja, natürlich! Jetzt, wo es an ihr eigenes Säckel geht, setzen sich auch die fetten Wänste zur Wehr! Doch wie kommst du darauf, daß die unserer Sache helfen wollen? Gab es etwa schon Proteste gegen die neuen Steuern? Und …«
Bantelhans hielt abwehrend beide Hände vor sich. »Halt, halt, so mach doch nicht gleich die Pferde scheu! Zuerst einmal: Du mußt erkennen, daß es in diesem Fall nicht um ›unsere‹ und um ›deren‹ Sache geht! Bei diesen Steuern ziehen alle an einem Strang. Und so unwahrscheinlich es klingt, gestern wurde dafür schon ein erster Beweis geliefert. Und was für einer!« Er schüttelte den Kopf. »Ich selbst war sprachlos, als mein Informant mir heute davon erzählte. Doch laß mich der Reihe nach fortfahren. Hast du schon einmal voneinem gewissen Peter Geiß gehört?« Jerg verneinte. »Nun, das ist einer unserer wichtigsten Männer. Er ist Hauptmann im Armen Konrad genau wie ich und wohnt im Remstal zu Beutelsbach. Ein Teufelskerl, das kann ich dir sagen!« Bantelhans schüttelte den Kopf.
»Nachdem dort die neuen Steuern verkündet worden waren, nahm also dieser besagte Peter Geiß eine Schaufel, zog damit einen großen Ring und sprach zu der versammelten Bürgerschaft und Landbevölkerung folgende Worte …« Hier machte Bantelhans eine bedeutungsvolle Pause. Sollte Jerg ruhig noch für einen Moment schmoren! Doch dann konnte er selbst nicht abwarten, mit seiner Geschichte fortzufahren.
»Also, er sagte:
›Der arm’ Konrad heiß ich, bin ich, bleib’ ich,
wer nicht will geben den bösen Pfennig,
der trete mit mir in diesen Ring!‹
– und sage und schreibe zweitausend Bauern und Bürger traten nacheinander in diesen Ring! Kannst du dir das vorstellen?«
Jerg schüttelte ungläubig den Kopf.
»Zweitausend Leute, die gegen die neuen Steuern protestieren? Darunter auch wohlhabende Bürger, nicht nur arme Bauern wie wir? Das ist doch wohl ein Ammenmärchen!«
»Nun, du darfst es schon glauben. Meine Quelle ist mehr als zuverlässig. Der Mann war sogar Augenzeuge des Spektakels! Aber warte ab, es kommt noch besser!« Bantelhans konnte sich sehr gut vorstellen, welche Wirkung der Rest seiner Geschichte auf Jerg haben würde! In bester Erzählermanier fuhr er fort:
»Nachdem der Geiß also gesehen hatte, wie viele Menschen gegen die Steuern waren, ging er noch einen Schritt weiter. Er schlug vor, am ersten Tag, da die neuen Gewichte benutztwerden sollten, also gestern, eine Wasserprobe mit ihnen zu machen. Alle waren dafür. Also ging eine riesige Menschenmenge zum Rathaus, um dort die neuen Gewichte abzuholen. Trommler und Pfeifer begleiteten den Menschenzug, es muß ein riesiges Trara gewesen sein. Jedenfalls stießen sie im Rathaus auf keinen Widerstand und bekamen die Gewichte ausgehändigt. Ich glaub’, der Schultes wußte gar nicht, wie ihm geschah! Dann ging’s zur Rems, das ist das kleine Flüßchen, das dem ganzen Tale seinen Namen verleiht.«
Jerg nickte ungeduldig. Das wußte er auch! Hielt Bantelhans ihn denn für dumm?
»Und dann ließ der Geiß die Gewichte vor versammelter Mannschaft ins Wasser fallen. Dazu sprach er folgende Worte: ›Haben die Bauern recht, so fallet zu Boden. Hat aber der Herzog recht, so schwimmet empor!‹« Wieder folgte eine bedeutungsvolle Pause. »Du kannst dir ja wohl vorstellen, was passiert ist … Als die Gewichte auf den Boden gefallen waren, hat das ganze Volk gejubelt! Danach sind der Geißpeter und ein paar Helfer den ganzen Tag von Dorf zu Dorf gezogen und haben überall unter großem Jubel die gleiche Prozedur durchgeführt. Und als ob das alles noch nicht genug gewesen wäre, ging es am selben Abend noch nach Schorndorf, der nächstgelegenen Amtsstadt! An die fünftausend Bauern
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